Unser linkes Ding. Ein Rückblick auf die VL (letzter Versuch)

Kurz vorab

Im September 2020 erschien bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Broschüre Sozialistische Alternative DDR 89. Die Initiative für eine Vereinigte Linke in Texten und Dokumenten mit Arbeiten von Christoph Kelz, Hendrik Mayer und mir. Bis zuletzt hatte ich am 6. Kapitel meines Beitrages Unser linkes Ding. Ein Rückblick auf die VL gearbeitet, jenem Abschnitt dieses Textes, der mehr als alle anderen analytisch angelegt ist; als ich Korrektur las, wurde mir bewusst, dass ihm immer noch einiges, das mir wichtig ist, fehlt.

Hier nun die bearbeitete Fassung von Unser linkes Ding, der Titel trägt jetzt den Zusatz letzter Versuch. Außer im Abschnitt 6 ist auch sonst da und dort einiges geändert worden, sprachlich, inhaltlich, strukturell.

Im übrigen bleibt das Vorwort zu Sozialistische Alternative DDR 89 als Einführung in das Thema empfehlenswert. Über seine Bedeutung habe ich mir möglicherweise Illusionen gemacht: Eine eingehendere Besprechung der von meinen Mitautoren und mir vertretenen Auffassungen steht bislang aus, vermutlich wird auch diese letzte Variante meiner Arbeit dazu nicht mehr anregen.

Mein Dank gilt Sebastian Gerhardt, der auch dieser Fassung – wie schon der ersten – den Weg in die Öffentlichkeit ermöglicht hat.

Erhard Weinholz (Berlin), Dezember 2020.



«Für eine vereinigte Linke in der DDR! Appell! […] wenden wir uns mit diesem Aufruf an alle politischen Kräfte in der DDR, die für einen demokratischen und freiheitlichen Sozialismus eintreten.»
(Böhlen, Anfang September 1989)

1.

An einem schönen Morgen im Frühsommer des Jahres 1990 schob ich mein viel genutztes altes Fahrrad vom Hof auf die Straße und machte mich zum ersten Mal seit langem wieder auf den Weg zur Arbeit, fuhr von Prenzlauer Berg am Friedrichshain vorbei ins Zentrum der Hauptstadt Berlin. Am Hemd trug ich sicherlich, wie fast alle Tage damals, das handgefertigte VL-Abzeichen: vier Zentimeter Durchmesser, schwarzer Untergrund, darauf dick ein rotes V, dessen rechter Strich senkrecht steht, und, etwas höher angesetzt, ein nicht minder dickes rotes L. Einem mathematischen Zeichen ähnelt dieses V, dem für «Wurzel aus …», fürs Radizieren. Als radikal verstand sich auch die «Initiative für eine Vereinigte Linke», und das hieß als Erstes, Politbüro- und Kapitalherrschaft gleichermaßen abzulehnen. Anfangs, im Frühherbst 1989, hatten das mehr oder minder deutlich fast alle neuen Gruppierungen in der DDR getan, bis hin zum Demokratischen Aufbruch und zur Sozialdemokratischen Partei. Wir aber waren beinahe die Einzigen, die dabei geblieben sind.

Und was hat der rote Stern zu besagen, der auf meinem Abzeichen fünfzackig neben dem L steht? Ein Westjournalist hatte mich das bei unserer Wahlkampf-Fete in der Kongresshalle am Alexanderplatz gefragt, kurz vor der Volkskammerwahl vom März 1990, die über das Schicksal dieses Landes entschied. O Schande, ich wusste es nicht, konnte also, obwohl ich mich viel mit der Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung beschäftigt hatte, nur verlegen herumstammeln, und das vor laufender Kamera. Dabei war doch klar: Er verweist auf das revolutionäre Russland. Doch worauf genau – den spontanen Kampf des Volkes, die Arbeit der Räte, das Wirken der Partei neuen Typus, der SDAPR (Bolschewiki)? Oder alles zusammen? Den Gestalter kann ich danach nicht fragen, niemand von uns weiß mehr, wer es war. Dass das Volk selbstständig handelt, entsprach den Vorstellungen der VL auf alle Fälle. Ein Rätesystem zu errichten nicht unbedingt. Mit der SDAPR (B) verband uns organisatorisch nur, dass wir ein Bund politisch Aktiver sein wollten; entstanden ist die VL als Bürgerbewegung. Und das war keinesfalls, wie manche meinten, ein Notbehelf, weil es zur Partei nicht gereicht hatte.

Über den Alexanderplatz fuhr ich an jenem Sonnabendmorgen, die Rathausstraße entlang und zuletzt über die Schleusenbrücke hin zum Werderschen Markt. Die Rasenfläche gleich links hinter der Brücke war lange nicht gemäht worden, Wildwuchs herrschte vor der großen, grauen Festung, die nicht mehr den Apparat des Zentralkomitees (ZK) der SED beherbergte und noch nicht den des Auswärtigen Amtes: Bis zum Dezember 1990 gingen hier im «Haus der Parlamentarier», wie es zu der Zeit hieß, die Volkskammerabgeordneten sowie die MitarbeiterInnen des Parlaments, seiner Fraktionen und ebendieser Abgeordneten ein und aus. Auch ich gehörte seit kurzem zu ihnen: Th. vom Aktionsbündnis Vereinigte Linke hatte mich zusammen mit anderen eingestellt; wahrscheinlich trafen wir uns schon am ersten Arbeitstag in unserem kärglich eingerichteten Büro. Einziger Zimmerschmuck, wenn man es so nennen will, war eine leicht angeschlagene Thälmann-Büste aus patiniertem Gips, die nun vom Schrank aus über alles hinwegsah.

Th. war an diesem 2. Juni wohl nicht mit dabei, er hatte enorm viel zu tun. 42 war er zu jener Zeit, voller Energie, und doch wurde mir, wie ich bald darauf in meinem Tagebuch notierte, bänglich zumute, wenn ich sah, was er alles an Terminen wahrnahm. Seinen Arbeitsplatz hatte er drüben im «Haus der Volkskammer», dem vormaligen «Palast der Republik». Einmal traf ich ihn dort schlafend vor dem PC. Es war ihm peinlich; Gefühle oder Schwächen gar zu zeigen war nicht seine Art. Auch ließ er sich nie an die Wand reden; rasch und genau analysierte er die Verhältnisse ebenso wie die Ideen anderer. Er war einer der beiden Hauptautoren des Appells «Für eine vereinigte Linke in der DDR», der als Gründungsdokument der VL gilt und als «Böhlener Plattform» 1 bekannt geworden ist. Sie wurde allerdings nicht von allen in der sozialistischen DDR-Opposition umstandslos akzeptiert. Die dort genannten Mindestanforderungen an die Gestaltung einer freien sozialistischen Gesellschaft hätten eher die Merkmale eines Maximalprogramms, las ich Jahre später in einer längeren Ausarbeitung aus dem Herbst 1989. Namentlich gezeichnet war sie nicht; woher ich sie hatte und wo sie geblieben ist, weiß ich nicht mehr, und ich habe auch nie erfahren, ob es weitere dieser Art gab und ob in der zu jener Zeit noch sehr kleinen Berliner Gruppe über diese Kritik gesprochen wurde. Auf alle Fälle scheint sie folgenlos geblieben zu sein: Weder entstanden mit der Plattform konkurrierende Aufrufe, noch hat man sie selbst innerhalb der VL weiterbearbeitet. Diskutiert haben wir unsere Ziele erst wieder Ende November beim ersten Arbeitstreffen.

Wann genau der auf Anfang September 1989 datierte Aufruf verfasst wurde, lässt sich wohl nicht mehr klären. Auf alle Fälle traf man sich dazu in einem Dorf nicht weit von Bautzen; von Böhlen war zur Tarnung die Rede und weil es sich so richtig proletarisch anhört, wie B. mir einmal sagte, Jahrgang ’50 und der zweite Hauptautor dieses Papiers. Erarbeitet hätten es, wie man dort liest, Marxisten, Christen und SED-Mitglieder. Viele Mitwirkende also? Eher nicht, es waren insgesamt nur fünf 2. Zwei kamen aus der SED, das rechtfertigte den Plural. Wichtig war diese Aufzählung, weil sie verhieß, dass die VL keiner Leitideologie verpflichtet war. Sie einte, und das war in der sozialistischen Linken bisher die Ausnahme, allein das emanzipatorische Ziel, ein freiheitlich-demokratischer Sozialismus, und, dazu passend, die Basisdemokratie als Organisationsgrundsatz. Denn uns reichte nicht der wahre demokratische Zentralismus, falls es den überhaupt gibt, also Wahl von unten nach oben, Beschlussfassung von oben nach unten, statt des nominellen der SED, bei dem nur der Zentralismus echt war. Bei uns und damit auch in der Gesellschaft, die wir anstrebten, sollten Beschlüsse tatsächlich den Willen, die Interessen der Basis ausdrücken.

Das Basisinteresse musste, sollte keine Summierung bloßer Privatinteressen sein. Anders als die Partei neuen Typus wollte die VL aber keinesfalls die sogenannten wahren Interessen anderer vertreten; sie beanspruchte daher im gesellschaftlichen Geschehen auch nicht wie diese von vornherein die führende Rolle. Lenin hatte diesen Anspruch damit begründet, dass ihr der Marxismus als angeblich einzig wissenschaftliche Weltanschauung diese Interessen aufzeige und der demokratische Zentralismus ihr einheitliches Handeln sichere. Die VL hingegen hat sich, obwohl in der «Böhlener Plattform» die «Erneuerung theoretischen Denkens auf marxistischer Grundlage» 3 gefordert wurde, nie als marxistische Organisation verstanden. Es war auch nicht unsere Sache, den einen Dogmatismus durch einen anderen zu ersetzen: Wir haben die Ordnung in diesem Land nicht abgelehnt, weil sie Marxʼ Ideen widersprach, wie später mal jemand meinte.

Ob sie tatsächlich oder nur dem Namen nach sozialistischer Natur war, dazu gab es bei uns hingegen unterschiedliche Meinungen, die auch damit zu tun hatten, wie man Sozialismus verstand: normativ, transitorisch, pragmatisch … Gestritten haben wir darüber aber nicht: Wer sie für nominalsozialistisch hielt, setzte sich für Verhältnisse ein, die diesen Namen wirklich verdienen; andere, die auch das System in der DDR für einen Sozialismus hielten, wollten einen besseren, und so kam man unabhängig von dieser Einschätzung zu gleichen Zielvorstellungen. Denn was wir wollten und was nicht, hing letztlich mit dem widersprüchlichen Gefüge der Gesellschaft zusammen, aus der wir kamen. Die Anforderungen, die die intelligenzintensive Produktion des materiellen Lebens an die Mitglieder der Gesellschaft stellte, waren für viele auf Dauer unvereinbar mit dem, was die DDR unter Politbüroherrschaft war: ein Polizeistaat (Arnold Ruge) 4, der die Vereinzelung, Entsolidarisierung, Entmachtung der BürgerInnen betrieb. Wir setzten dagegen das Motto «VL – die solidarische Alternative». Solche Orientierung sprach vielerlei Kräfte an, und so stießen leninistische und nichtleninistische MarxistInnen ebenso zu uns wie die erwähnten Christen sowie Autonome und SozialistInnen, die sich durch nichts weiter definierten. Manche waren einmal SED-Mitglied gewesen, andere waren es noch immer, das Gros stellten aber, jedenfalls in Berlin, sozialistische Linke, die – wie ich – immer parteilos geblieben waren, ein Menschenschlag, der nicht eben häufig war.

Welche Rolle der Aufruf «Für eine vereinigte Linke in der DDR!» bei alledem gespielt hat, ob er mehr Impulsgeber und Orientierungshilfe war oder lediglich schon im Aufbau begriffene Gruppen in ihrem Tun bestärkt und auf ein größeres Ganzes verwiesen hat, lässt sich heute vielerorts nicht mehr ermitteln. Wirksam werden konnte er ohnehin nur, wenn der Boden bereitet war und gesellschaftliche Kräfte für eine sozialistische Alternative zum Bestehenden eintraten. Das herrschende System abgelehnt hatten früher oder später alle von uns; mit organisierter Opposition vertraut waren nur wenige. Zu ihnen zählten auch Th. und B. Beide hatte ich, und zwar schon als Oppositionelle, 1977 an der Akademie der Wissenschaften kennengelernt, am Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften (ZIW), das wir alle drei nicht unter gleichen Umständen, aber immer aus politischen Gründen hatten verlassen müssen.

Th. war es auch gewesen, der mir im Dezember 1989 das Telegramm geschickt hatte: «10. 12. 14 Uhr Vollversammlung VL in der Uni Raum 2002». Denn ich war trotz Anmeldung in der Umweltbibliothek zum ersten Arbeitstreffen der Vereinigten Linken Ende November ins Haus der Jungen Talente, das heutige «Podewil», nicht eingeladen worden und hatte dann, da es in der Presse hieß, die Gründung der VL sei dort gescheitert, die Idee im Geiste ad acta gelegt. Die Arbeit an jenem Wochenende war, wie ich später hörte, durch die Einmischung von Westlinken behindert worden, die ihre jeweils einzig richtige Linie durchsetzen wollten. Zudem machten sich die innerhalb des in Berlin (Ost) besonders breiten linken Spektrums bestehenden Differenzen bemerkbar: Es kam mit etlichen, die sich eher autonom orientierten, zu einem blockierenden, nie wirklich beigelegten Streit5, wie dezentral die VL denn aufgebaut werden solle. Um ihre ursprüngliche Vorstellung zu retten und zu sichern, dass die VL mehr wird als nur ein Name für einen Verbund selbstständiger Gruppen, kamen knapp zwei Wochen darauf an dem Treffen Beteiligte, darunter B. und Th., in Leipzig zusammen, gründeten gleichsam als Auffangorganisation den BUS (Bund unabhängiger Sozialisten) und veröffentlichten unter diesem Namen für alle DDR-Bezirke eine Liste von Kontaktadressen. Damit hatte der BUS seine Aufgabe erfüllt.

Auch später haben wir mehr als einmal über Grundsätzliches gestritten. Doch wurde dabei meist sachlich argumentiert und auf Verdammung, auf Begriffe wie Renegat und Clique, verzichtet. Anders wäre die VL bei ihrer inneren Vielfalt gar nicht lebensfähig gewesen. Sektenkämpfe, wie sie für stalinistische und leninistische Gruppierungen typisch waren, blieben die Ausnahme. Erinnerlich ist mir nur einer: Im Sommer/Herbst 1990 griff die Freiberger VL in Zusammenarbeit mit dem Bund Sozialistischer Arbeiter, einer trotzkistischen, in ihrer Rhetorik jedoch eher stalinistischen Kleinorganisation, die Gesamt-VL wegen ihres angeblich fehlerhaften Kurses6 an. Insgesamt aber überwog der Wille, Übereinkunft zu finden.

Das alles waren für uns auch Lehren aus der Entwicklung des Sozialismus, mit der wir uns schon in der zweiten Hälfte der 70er Jahre am ZIW beschäftigt hatten, in den FDJ-Seminaren zur Wirtschaftsgeschichte der Sowjetunion7 und mehr noch in kleinerem Kreis am Rande dieser Seminare. Bei einer Hallenser PDSlerin las ich irgendwo einmal, sie habe es im Herbst 1989 in der SED nicht mehr ausgehalten und sei zur VL gegangen, wo sie viel gelernt habe, nicht zuletzt für den Umgang unter sozialistischen Linken. Gerade durch ihr basisdemokratisches Organisationsmodell, das wirklich umgesetzt wurde, ist die VL, wie mir scheint, für nicht wenige Linke bedeutsam geworden. Wie groß ihr Einfluss auf damalige Veränderungen vor allem in der PDS war, ist jedoch schwer zu sagen. Es hat ja auch in der SED Widerstand gegen die Funktionärsdiktatur gegeben.

Ich will den Leistungen der VL hier nicht weiter nachgehen; ihre beiden Hauptziele hat sie jedenfalls verfehlt: Zum einen ist es ihr nie gelungen, aus einer zu der Vereinigten Linken zu werden, also den allergrößten Teil derer für sich zu gewinnen, die sich organisiert für eine sozialistische Alternative zu den Verhältnissen in der DDR einsetzen wollten. An sie alle hatte sich der Aufruf «Für eine vereinigte Linke!» im Herbst 1989 gewandt; er ist aber, wie ich erst bei der Arbeit an diesem Text erfahren habe, nicht einmal von allen in der VL in diesem sehr umfassenden Sinne verstanden worden. Dass sich für B. und Th. mit dieser Gründungsphase noch immer etwas geradezu Traumatisches verbindet, ist mir gar erst jetzt, im Sommer 2020, klar geworden. Sie hatten nämlich diesen Aufruf als erste Plattform in die (zunächst nur ideelle) revolutionäre Massenmobilisierung einbringen wollen – dann hätte er, so glaubten sie damals, meinen sie noch heute, enorme Zustimmung gefunden. Doch aus einem Treffen im Juni wurde nichts, Ibrahim Böhme hatte nie Zeit8 … aus einem im Juli oder August anscheinend auch nichts … und plötzlich sei das Neue Forum aufgetreten und habe mit seinem vorsichtigeren Appell all diese Zustimmung absorbiert9: Ein Schlag in die Magengrube sei das gewesen10.

Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass die VL mit ihrer Plattform bei früherem Erscheinen eine ähnlich breite Zustimmung gefunden hätte wie das Forum mit seinem Gründungsaufruf11. Denn dieser Aufruf war eine Einladung, er benannte Problemfelder, aber nicht schon Lösungen und sprach daher einen viel breiteren Personenkreis an als die Plattform, die sich an Gleichgesinnte wandte und eher den Charakter einer Hürde hatte. Anders gesagt: Die VL hatte wohl nie die Chance, die richtungsbestimmende Oppositionsgruppe zu werden.

Wichtiger noch für ihr Schicksal war, dass ihr Ziel, die Selbstständigkeit der DDR zu sichern und das Land im Geiste eines freiheitlichen und demokratischen Sozialismus zu revolutionieren, ihr zweites Hauptziel also, Sache einer nicht eben großen Minderheit geblieben ist. Ganz grundlos war unsere Hoffnung auf eine solche Revolution damals nicht, zwei wichtige Voraussetzungen neuer Machtverhältnisse waren immerhin gegeben: Zum einen hatte sich das politische Interesse breiter Kreise des Volkes in einem Tempo entwickelt, das kaum jemand erwartet hatte. Auf den Straßen, in den Bahnen kamen vom Oktober an Menschen, die sonst nichts miteinander zu tun hatten, ins Gespräch über die Lage im Lande, Fazit: Es muss sich etwas ändern. Und zwar jetzt. Am Abend des 7. Oktober habe ich auf dem Berliner Alexanderplatz einige der Themen notiert, als rund um die Weltzeituhr diskutiert wurde: Politbüroherrschaft, Informationspolitik, Versorgungslage. Zugleich wurde das Volk von sich aus aktiv, bei Demonstrationen, bei Meetings in Betrieben und Einrichtungen, bei Blockaden und Besetzungen von Dienststellen des MfS; es brauchte keine Führung dazu. Freiheit und Demokratie waren dabei Ziel fast aller, und hier hatten wir weitreichende Forderungen. Dennoch war das Volk auf Grundlage eines sozialistischen Programms nicht zu einen, und zwar allein schon aus wirtschaftlichen Gründen: In einer umgestalteten DDR wenigstens den bisherigen Lebensstandard zu halten konnten wir keinesfalls versprechen. Erst recht fehlten aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche der DDR, insbesondere des Rückstands in der Produktivität der Fertigung und der erzeugten Produktionsmittel sowie der hohen Aufwendungen für den Schuldendienst, Mittel für die dringend nötige und von vielen im Herbst 89 auch verlangte rasche Verbesserung der ökologischen, der Arbeits- und der Wohnbedingungen.

Vieles also hatte Platz im Bewusstsein der Massen, einem Bewusstsein, das man sich nicht als wohlgeordnetes Lager von Zielen, Werten usw. vorstellen sollte, sondern eher als Knäuel oft unklarer, manchmal widersprüchlicher, teils auf Sozialistisches, teils auf Kapitalistisches verweisender Vorstellungen von Gott und der Welt. Irgendwann aber musste man über das Wie weiter? entscheiden, und im Vorfeld dessen wurde vielen in der DDR manches klarer, wurden Prioritäten bewusst: Die politischen Forderungen der VL, sofern sie über das im Westen Gegebene hinausgingen, rangierten dabei fast immer weit unten; Gerechtigkeit war schon wichtiger, doch an erster Stelle stand, wie zu erwarten, allem Anschein nach der westliche Wohlstand. Eben das scheint mir der eigentliche Gehalt des oft erwähnten Stimmungswandels des Volkes an der Wende zum Jahre 1990 zu sein, der sich schon im November 1989 abzuzeichnen begann. Einige sozialistische Linke sehen ihn als Folge des Mauerfalls12, mit dem die Herrschenden eine in der großen Demonstration vom 4. November gipfelnde aussichtsreiche Bewegung heimtückisch in westliche Konsumtempel umleiten wollten. Doch ich denke, dass der allenfalls eine Entwicklung beschleunigt hat, die im System hier im Osten längst angelegt war: Die einen votierten nun für die deutsche Einheit, die anderen siedelten gleich in die Bundesrepublik über. Gerade die nach dem Mauerfall einsetzende Ausreisewelle war für sozialistische Linke höchst deprimierend: Sie stellte uns vor die Alternative Vereinigung oder Zusammenbruch. Das heißt: Dass die VL erst spät halbwegs handlungsfähig wurde, war für das Gesamtergebnis der Revolution wahrscheinlich belanglos. Spät handlungsfähig wurden im übrigen auch die anderen oppositionellen Gruppierungen – sie konnten sich erst entwickeln, als alles schon im Gange war. Aber eine streng konspirativ arbeitende Kaderpartei, die schon bereitsteht, wenn’s losgeht, passte eben nicht zum Charakter der anstehenden Aufgaben.

2.

Man hat es jenen, die auf uns aufmerksam wurden, mit der «Böhlener Plattform» nicht leicht gemacht: Zehn Normseiten ist sie lang und gemeinem Volke unverständlich. «Die Teilnehmer des Treffens», so heißt es eingangs, «berieten angesichts der wirtschaftlichen Situation und der sich entwickelnden politischen Krise in der DDR über die Notwendigkeit einer tiefgreifenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umgestaltung, die dafür notwendige Zusammenarbeit aller auf den Positionen des Sozialismus stehenden weltanschaulichen und politischen Kräfte in der DDR und die Notwendigkeit der Erarbeitung einer linken, sozialistischen Alternative im Geiste sozialistischer Demokratie und Freiheit.»13 Wahrscheinlich sollten Sätze wie dieser uns darauf vorbereiten, dass man für den Aufbau eines besseren Sozialismus einen langen Atem braucht. Mir war das ohnehin klar, Theorie war mein eigentliches Arbeitsfeld; mit umfänglichen Erörterungen habe ich damals im einstigen SED-Zentralorgan Neues Deutschland PDS-Mitglieder aufzuklären versucht. Angestellt hatte Th. mich aber nicht, weil er als Abgeordneter einen Theoretiker brauchte, sondern vor allem, weil ich für die VL ehrenamtlich im Arbeitssekretariat des DDR-Sprecherrats tätig war: Im April oder Mai 1990 hatte er mich gebeten, diese Aufgabe gemeinsam mit H.14 zu übernehmen, der ein Aktivist der Berliner Oppositionsszene war.

Arbeitstreffen, Arbeitssekretariat – vor allem in der Berliner VL war selten vom Vergnügen die Rede, von gemeinsamem Essen, Trinken, Feiern, selbst wenn es wenig zu feiern gab für uns, sondern fast immer nur von Arbeit, freiwillig geleisteter natürlich. Vermutlich lag es am besonderen Zuschnitt dieser Gruppe: Zwar kamen die meisten auch hier – wie in der VL überhaupt – aus der linksoppositionellen Jugend, jüngeren Angestelltenschaft und Intelligenz (nur wenige direkt aus der Produktion). In Berlin war aber der Anteil der AkademikerInnen, gerade auch der promovierten, erheblich höher als anderswo, und so gab es hier eine größere Gruppe von Mitgliedern um die vierzig, die die Geschicke der VL stark beeinflussten und, auch wenn sie vielleicht 68er Ost waren, eher preußische Vorstellungen von Pflicht und Arbeit hegten.

Anderswo war die Mitgliedschaft erheblich jünger, in manchen Universitätsstädten zum Teil auch studentisch. In Erinnerung geblieben ist mir in dem Zusammenhang ein Telefonat mit dem Sprecher der Arnstädter VL, von deren Existenz ich erst spät erfahren hatte; sie war auch schwer zu erreichen, hatte kein eigenes Büro. Vom Neuen Forum heftiger befehdet als von der CDU, hatten sich da, so hörte ich von ihm, junge Mitglieder zur Antifa-Arbeit zusammengefunden. In manchen dieser Gruppen, in Halle, in Rostock, spielten auch das Alltägliche und die persönlichen Beziehungen eine stärkere Rolle, sie waren nicht nur Arbeitszusammenhang (wie in Berlin). Die Suche nach politischer Gemeinschaftlichkeit verband sich mit der nach neuen Lebensformen, es bildete sich so etwas wie ein VL-Milieu heraus. Die VL bot damit einen guten Einstieg in linke Politik, einen sehr viel besseren, als ihn einst im Westen K-Parteien und DKP ermöglicht hatten. Sie bot ihn nicht nur zukünftigen Mitgliedern, sondern als Einzige auch zum Teil sehr jungen sozialistisch orientierten Linken, die miteinander reden und eigene Aktionen starten wollten, ohne sich organisatorisch zu binden. In der VL hatten sie einen Anlaufpunkt, konnten deren Räume nutzen, vielleicht sogar Telefon und Kopierer. So berichten es etwa zwei aus Rostock stammende nachmalige Mitglieder der Interventionistischen Linken (IL) auf deren Webseite15. Diese Rolle konnte die VL vermutlich aber nur spielen, weil sie ihnen, anders als die PDS, als sozialistische Opposition glaubwürdig erschien.

Die Gruppen der VL handelten weitgehend selbstständig, der Sprecherrat, in dem sie Sitz und Stimme hatten, war kein Zentralkomitee, das Arbeitssekretariat kein ZK-Sekretariat mit Weisungsberechtigung. Statt Sekretärs- wurde hier sogenannte Sekretärinnenarbeit verrichtet: im Sprecherrat Protokoll führen, das Protokoll abtippen, vervielfältigen, schließlich an die Gruppen versenden und überhaupt mit ihnen Kontakt halten. Etwa drei Dutzend waren es im Sommer 1990, mit insgesamt etwa 1.500 bis 2.000 Mitgliedern. Doch ob hinter den Adressen, die ich anschrieb, immer eine Gruppe stand, war zweifelhaft. Andererseits ist gut möglich, dass ich von der Existenz mancher Gruppen nie erfahren habe. Und was hieß schon Mitglied? Laut Statut war man es, wenn man sich an einer der Stadtteil- oder Arbeitsgruppen beteiligte und Beitrag zahlte. Mitgliedsausweise spielten kaum eine Rolle: Wer zur Vollversammlung kam, stimmte mit ab.

Manchmal hatte ich nach abendlichen Sprecherrats-Sitzungen Telegramme zu versenden, stand gegen Mitternacht Schlange im Postamt am Hauptbahnhof, dem einzigen im Ostteil der Stadt, das rund um die Uhr geöffnet hatte. Wenn die Zeit still dahingeht, so dachte ich, darf man den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, man darf sogar am 1. Mai Erich Honecker zuwinken – die Herrschenden meinen dann, alles sei in Ordnung in ihrer Republik. Ist aber die Stunde da, so muss man bereit sein und darf selbst niedere Arbeiten nicht scheuen. Es war in dem Falle ja sogar eine Ehre.

Mein Arbeitssekretariats-Kollege H., der sich mit mir auch die Stelle als Th.s Mitarbeiter an der Volkskammer teilte, hatte im September 1989 ebenfalls an der «Böhlener Plattform» mitgeschrieben; Jahre zuvor war er als Wehrdienst-Totalverweigerer knapp dem Zuchthaus entgangen. Und da die Personaldecke der VL äußerst dünn war16, hatte es zuletzt mit enormer Hartnäckigkeit noch N. geschafft, von Th. an der Volkskammer angestellt zu werden, ein junger Mann von lässiger Eleganz und mit einer gewissen Rednergabe, der sich nun um die Bestellung von Büromaterialien kümmerte, wobei er als parlamentarischer Geschäftsführer der AVL-Fraktion auftrat17. Doch es gab keine solche Fraktion. Das «Aktionsbündnis Vereinigte Linke», die VL im Verein mit der kleineren marxistischen Partei Die Nelken, war bei der Wahl vom 18. März 1990 durch glücklichen Zufall18 mit 0,18 Prozent der Wählerstimmen gerade so ins Parlament gerutscht. Th. war unser einziger Abgeordneter, hatte daher im Wirtschaftsausschuss, dem er angehörte, kein Stimmrecht und musste die Flut der Anträge, Entwürfe und Beschlüsse allein bewältigen. Zum Ausgleich hatte er als Einziger aus der VL in der Öffentlichkeit einen Namen, er war sozusagen unser Gesicht. Manche hielten ihn gar für unseren Vorsitzenden. Sein Einfluss auf die Geschicke der VL war aber, nachdem er in die Volkskammer gelangt war, eher gering, wie mir scheint, jedenfalls bei Weitem nicht so groß, wie Außenstehende damals mitunter meinten.

Ich arbeitete aber nicht nur für Th. und den DDR-Sprecherrat, sondern war, wie es das Statut verlangte, auch in einer Arbeitsgruppe tätig, der Mediengruppe der VL Berlin. Am liebsten waren mir die Nachmittage in der Podium-Redaktion der Berliner Zeitung, in die mich – war es im Februar, war es im März? – diese Gruppe entsandt hatte. Die Podium-Seite war ein Organ der Bürgerbewegungen und neuen Initiativen; seit Dezember ‘89 durften wir sie einmal pro Woche nach eigenen Ideen gestalten, letztmals im April 1991. Je zwei von uns sieben übernahmen reihum die Arbeit. Dass die VL für die meisten anderen Bewegungen das Schmuddelkind war, mit dem man ungern spielte, war hier nicht zu merken: Ob es um Stadtökologie ging oder den ersten Golfkrieg, um die Stellung der Frau in der Gesellschaft oder den Umgang mit den Stasi-Akten, fast immer überwog das Gemeinsame, das erheblich mehr umfasste als nur die viel beschworenen Bürgerrechte. Die Frage der deutschen Einheit, die Systemfrage also, über die innerhalb der DDR-Bürgerbewegung viel gestritten worden war, wurde auf dieser Seite allerdings nur indirekt angesprochen: Mehrmals wurde zum Beispiel vor den sozialen Folgen der Wirtschafts- und Währungsunion gewarnt. Wichtig war mir auch, dass der Bereich der Arbeit nicht völlig aus dem Blick geriet.

Schon seit Januar saß ich immer dienstags als Ansprechpartner für alle und jeden in unserem verkramten Büro im «Haus der Demokratie» (HdD) an der Friedrichstraße; auch das hatte die Mediengruppe organisiert. Nach dem 18. März hatte der Andrang verständlicherweise stark nachgelassen. Anfangs waren gelegentlich noch Mitteilungen an ADN durchzugeben, so die Erklärung für unseren Austritt aus der zweiten Regierung Modrow, die sich kurz zuvor, Ende Januar, erst konstituiert hatte: Seinen Plan «Deutschland einig Vaterland»19 lehnten wir ab – Sozialismus war nur möglich, wenn die DDR selbstständig blieb. Eigentlich hätten wir ihm ja dankbar sein müssen für diesen Anlass, eine Regierung zu verlassen, in der wir nichts zu suchen hatten und in die wir jemanden ohne Absprache mit der Basis entsandt hatten. Als ich den Text ins Telefon verlas, bekam ich Scham-Anfälle: Er war typisch VL, verbissen im Tonfall und weitschweifig obendrein. Kurz und knapp hingegen hatte jemand im Oktober 89 im Wochenblatt Die Kirche20 Hauptforderungen aus der «Böhlener Plattform» benannt: sozialistisches Eigentum, Kontrolle der Arbeit und ihrer Ergebnisse durch die Arbeitenden, direkte Demokratie – sofort fühlte ich mich angesprochen. Ein Punkt war die Rückkehr zur Länderstruktur21, etwas völlig Neues damals; als Heimatfreund gefiel mir auch das.

Der Tag im HdD war für mich der anstrengendste, oft zugleich der ertragreichste der ganzen Woche. Sonst aber eilte ich nun im Haus der Parlamentarier gleich früh zur Poststelle und fuhr dann hinauf ins vierte Geschoss. War die Post durchgesehen, auch sonst das wenige für Th. getan, das ich zu tun hatte, begann die Arbeit für die Organisation: telefonieren, telefonieren, nochmals telefonieren. Fast immer fuhr ich mit einer langen Liste zum Werderschen Markt, aber die wichtigste Aufgabe des Arbeitssekretariats blieb unerledigt: die zu gleichen oder verwandten Themen arbeitenden Gruppen der übers Land verstreuten Basisorganisationen zu vernetzen. Ich wusste nicht einmal, wer wo was machte.

3.

Verwundern sollte diese Unkenntnis nicht: In unserem Volkskammerbüro war ich schon bald meist allein. N., dem wir verboten hatten, als parlamentarischer Geschäftsführer aufzutreten und für den es hier ohnehin nichts mehr zu tun gab, wechselte noch im Juni 1990, wenn ich mich richtig erinnere, zu einem anderen VL-Projekt, H., mein Kollege im Arbeitssekretariat, war dauernd auf Achse und kam fast nur ins Haus, um seine Benzinkosten abzurechnen. Oft unterwegs gewesen war er zuvor bereits, und zwar zunächst, seit Jahresbeginn schon, für den Volkskongress. «Wir brauchen einen Volkskongreß!», hatte die VL am 9. Dezember 1989 erklärt; er ermögliche es, «rasch in demokratischer Weise zu notwendigen Entscheidungen der gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen und den Parteien für den Wahlkampf Orientierungen des Volkswillens zu geben»22.

Sozialistische Entwicklung fing für uns ja damit an, dass das Volk seinen Willen selbst äußert, über seine Angelegenheiten selbst bestimmt und zunächst in den Gemeinden und Betrieben unabhängige Machtorgane schafft, Organe einer wirklichen Volksmacht also, die den bislang Herrschenden ebenso wenig dienen wie den ihnen folgenden Wendehälsen und dem Westkapital. «Wir müssen unsere Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen»23 war daher der Titel eines Aufrufs der VL vom 5. Oktober 1989; in gleiche Richtung ging wenig später die «Erklärung von Teilnehmern am Böhlener Treffen»24. Als «neue Organe des Volkswillens»25, so hat es B. dann in «Wir brauchen einen Volkskongreß!» formuliert, könnten «parteioffene demokratische Volksausschüsse […] sämtliche Angelegenheiten ihres Gebietes in ihre Hände nehmen». Die SED hatte solch eigenständiges Handeln des Volkes stets als Angriff auf ihre angeblich führende Rolle gewertet. Dass die VL es ausdrücklich guthieß, konnte aber nicht bedeuten, dass wir zu allem, was von den Massen kam, Ja und Amen sagten.

Auch auf gesellschaftlicher Ebene sollte das Volk von sich aus tätig werden: «Noch vor den Wahlen müssten»26, wie es am 8. Dezember 1989 im Bericht der VL über die Ergebnisse der ersten Gespräche am Zentralen Runden Tisch hieß, «Beauftragte der Volkskontrollausschüsse, Bürgerkomitees, unabhängigen Arbeiterkommissionen und Betriebsräteinitiativen zu einem landesweiten Volkskongreß zusammentreten, beraten und ihre Forderungen stellen». Keine politische Kraft im Lande werde an diesen Forderungen vorbeikommen. Ein ähnliches Ziel verband sich mit dem Aufruf vom 9. Dezember, der aber viel breitere Kreise ansprechen und für einen Kongress dieser Art gewinnen sollte. Die beiden Initiativen, von denen die zweite die erste eigentlich überflüssig machte, waren der einzige von uns initiierte Versuch, durch Druck von unten der Gesamtentwicklung doch noch die von uns erstrebte Richtung zu geben. Dass der Volkswille27, auf den wir uns dabei berufen haben, eine Fiktion war, habe ich schon 1991 in unserem Infoblatt angemerkt.

Überhaupt war es ein Versuch mit in mehrerlei Hinsicht unzulänglichen Mitteln: Zunächst einmal ist der Aufruf viel zu lang, fast fünf Normseiten, auch kommt der Autor erst gegen Ende, sozusagen als Lohn für vorbildliches Durchhalten, auf das eigentliche Thema zu sprechen. B. war ein Kommunikator, dennoch zeigte sich hier der gleiche Hang zum Selbstgespräch, die gleiche Unfähigkeit, auf die Gesellschaft einzugehen, wie bei den meisten anderen damaligen Äußerungen der Berliner VL. Lag es daran, dass es dieser Opposition an Übung fehlte, mit dem Volk öffentlich ins Gespräch zu kommen? Doch ob öffentlich, ob privat, ob mündlich oder schriftlich: Es gehört zu den Grundregeln der Kommunikation, dass man sein Gegenüber im Blick hat. An ihm vorbeizuschauen offenbart Ablehnung oder mangelndes Interesse.

Obendrein blieb unklar, wie man den Kongress organisieren wollte: Man könne dorthin, so hieß es, aus allen Betrieben und Einrichtungen die kompetentesten und vertrauenswürdigsten Kolleginnen und Kollegen entsenden. Sollten etwa mehrere Tausend Abgeordnete beraten? Und wenn ja, wo? Zudem konnte die VL ein solches Großvorhaben nur im Bunde mit stärkeren Gruppierungen auf den Weg bringen; sie blieb damit jedoch allein. Entscheidend aber wäre gewesen, und darauf hätte gleich am Anfang des Aufrufs verwiesen werden müssen, dass sich überall in den Betrieben und Wohngebieten Unterstützungsgruppen gebildet hätten, die für diese Idee werben, die Wahl von Delegierten vorbereiten und vor allem debattieren, welche Themen in welchem Sinne dort besprochen werden sollten. Doch von alledem konnte keine Rede sein. Warum auch immer sich die breite Masse von diesem Vorhaben nichts versprach, das «Wir brauchen» im Titel erwies sich als bloße Suggestivbehauptung. Im Oktober, als «Wir sind das Volk» das Wort der Stunde war, hätte die Idee noch Debatten befördern können, vielleicht gar eigenständiges Handeln. Im Dezember war die DDR eine einzige große Kongresshalle, die Parteien mussten sich von keinem Kongress die Richtung weisen lassen. Der wiederum wäre dazu gar nicht imstande gewesen. Lese ich das Wort «Volkswille», so sehe ich alte Plakate vor mir, auf denen ein Arbeiter zwergenhaften Figuren, knochigen Generälen und dicken Kapitalisten mit Zigarre, lachend einen Tritt versetzt, dass sie nur so durcheinanderpurzeln. Brauchte man bei solcher Willenseinheit überhaupt mehrere Parteien? Der Wille des Volkes war aber in der entscheidenden Frage, der der deutschen Einheit, damals bereits unübersehbar gespalten und als klare Orientierung nicht mehr verwendbar.

Überhaupt muss erstaunen, dass eine Gruppierung wie die VL, die stets ihren eigenen Zielen folgte und nicht etwa dem Mehrheitswillen des Volkes, anderen mit dem geplanten Kongress eine solche Fiktion als Grundlage ihrer Willensbildung anbieten wollte. Unser Aufruf war gerade zehn Tage in der Welt, da wurde Helmut Kohl in Dresden bejubelt wie wohl nie zuvor in seinem Leben. Doch ist die Stimmung nicht erst Wochen später in Richtung Einheit umgeschlagen? Tatsächlich war die Mehrheit derer28, die die Einheit ablehnten und auf die Neugestaltung der DDR hofften, einer Umfrage zufolge Mitte Dezember noch beträchtlich. Doch sagten damals bereits entmutigt fast alle meiner Freunde, die nicht der VL angehörten, dass die Einheit kommen wird, und Rudolf Bahro sagte es am 10. Dezember am Rande der Versammlung der VL Berlin. Widerstand zu leisten, nun auch gegen das Westkapital, blieb dennoch sinnvoll. «Thäten wir nicht, was wir thun mußten», so Georg Forster vor mehr als 200 Jahren, «so würde alles noch bunter gehen.» Einen Kongress zu veranstalten, der vielleicht mit dem Ruf nach deutscher Einheit endet, wäre dagegen bei aller Liebe zum Volke nicht Sache der VL gewesen.

Trotzdem hatte mein nachmaliger Kollege H. Anfang 1990 sein Volkskongress-Büro eingerichtet, hatte an manchen Orten im Lande Zeit und Kraft an das Vorhaben gewendet, bis es irgendwann klammheimlich beerdigt wurde. Viel herumgefahren ist er weiterhin, immer in hochwichtigen Angelegenheiten, die nun aber streng geheim waren. Auch über die «Gruppe demokratischer SozialistInnen», als deren Sprecher er im Herbst 89 aufgetreten war, hat er meines Wissens nie etwas verlauten lassen. Gegen Ende des Sommers wurde einer der Gründe seiner Reiselust deutlich: Er hatte als Organisator einer sogenannten revolutionären Fraktion der VL Unterstützung für einen Aufruf gesucht, der unter anderem auf den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei abzielte: «Für Einheit und Klarheit», in der Berliner VL spöttisch «Für Einheit und Reinheit» genannt. Dabei hatte er doch zumindest in einem Punkt die VL beerbt: Die Einheit, so liest man bei ihm, stärke zwar das imperialistische Potential Deutschlands, «aber die unzureichende Analyse der […] Wurzeln des Wunsches der DDR-Arbeiterklasse nach Vereinigung führte […] zum Unverständnis dieser Forderung und zur Isolierung von den Arbeitern»29. Dahinter steht, wie mir scheint, verklausuliert und auf die Arbeitenden eingeengt, jene Ausrichtung auf den Willen des Volkes, wie wir sie auch in «Wir brauchen einen Volkskongreß!» finden. Vier große Basisgruppen hatten den Aufruf angeblich unterschrieben, tatsächlich waren es nur zwei. Bemängelt wurde im DDR-Sprecherrat zudem, dass H. seine Anstellung für fraktionelle Arbeit nutze. Anfang September 1990 verließ er die VL und damit auch das Arbeitssekretariat; wir seien, so erklärte er, zu sehr aufs Parlament fixiert. Einige Male bin ich ihm später noch begegnet. Meist sprach er von großen Plänen. 2016 ist er, Mitte fünfzig erst, völlig vereinsamt gestorben.

4.

Ähnlich wie im Jahr zuvor ging auch 1990 alles viel schneller als anfangs gedacht, nur in anderer Richtung diesmal: Schon im Juli hatte man in Ost und West beschlossen, den nächsten Bundestag Anfang Dezember gesamtdeutsch zu wählen. Ende August hieß es dann: deutsche Einheit zum 3. Oktober, kurz vor dem 41. Jahrestag der DDR. Der Einheitstermin war für uns kein Thema, die Wahl im Dezember war es umso mehr. Jedenfalls in der VL Berlin, der größten Gruppe im Lande. Dabei hatten wir noch nicht einmal die Wahlpleite vom 18. März untersucht, wir haben es auch später nie getan – ein erstaunlicher Mangel an Aufklärungswillen angesichts der hier versammelten Menge an Geist.

Wie es dazu kam, dass die VL zur letzten Volkskammerwahl zusammen mit der Partei Die Nelken als Aktionsbündnis Vereinigte Linke (AVL) antrat, ist eine lange Geschichte, die ich hier nur in groben Zügen wiedergeben will: Neues Forum, Demokratie Jetzt sowie die Initiative für Frieden und Menschenrechte, drei Bürgerbewegungen also hatten das Bündnis 90 gebildet; die SDP, so hieß es, werde sich ihm noch anschließen, und auch wir hatten diese Möglichkeit. Da die SDP aber die deutsche Einheit anstrebte, hat die Berliner VL im Januar 1990 den Beitritt zu diesem Bündnis abgelehnt. Der Saal im Weißenseer Kreiskulturhaus Peter Edel war an jenem Abend gut gefüllt: fast 200 Anwesende, die höchste Zahl, die wir bei einer Berliner VL-Versammlung je verzeichnen konnten. Die Sozialdemokraten hatten aber, wie sich bald zeigte, gar kein Interesse am Bündnis 90 und wollten sogar ebenso wie einige DDR-Grüne durchsetzen, dass nur Parteien zur Wahl zugelassen werden30. Unser Versuch, darauf eine Liste Grün-Lila-Rot zu bilden, scheiterte, und zwar weniger an Differenzen mit den Ost- als vielmehr am Widerstand der West-Grünen, die der Gedanke, die Ost-Grünen könnten sich mit der VL verbinden, geradezu in Panik versetzte31. Ein Dreierbund war zunächst auch das Aktionsbündnis Vereinigte Linke, die KPD haben wir aber fast auf den letzten Drücker ausgebootet – ich glaube, sie war uns nicht seriös genug.

Die Berliner VL hatte im Januar 1990 fast ausnahmslos dafür gestimmt, zu dieser letzten Volkskammerwahl anzutreten. Ich war dagegen gewesen; Th. nahm es mit erstaunt hochgezogenen Augenbrauen zur Kenntnis. Wir saßen, so hatte ich gedacht, mit unseren geringen Kräften an sämtlichen Runden Tischen, die in der Stadt zu haben waren, in fast allen Arbeitsgruppen dieser Tische obendrein, und jetzt noch Wahlkampf – hatten wir nichts Besseres zu tun? Richtig bewusst geworden ist mir das Problematische dieser Aufteilung der Kräfte aber erst viel später.

Immerhin ist unser Wahlprogramm im Unterschied zu anderen VL-Texten aus jener Zeit in seiner Abfolge von Fragen und Antworten gut lesbar, vor allem aber ist es, so denke ich, auch lesenswert. Besonders betrifft das die umfänglichen Vorschläge für eine Wirtschaftsreform, an denen B. viel Anteil hatte; gerade sie waren wichtig für die Plausibilität des Gesellschaftskonzepts der VL. Technokratisch-ökonomistische Sozialismus-Reformer hatten viel über das Verhältnis von Plan und Markt gestritten; der VL ging es um etwas anderes: Staats- in Volkseigentum umzuformen. «Kern einer neuen Wirtschaftspolitik», so heißt es im Programm, «muß die durchgängige Demokratisierung der Arbeitswelt und die Ausrichtung der Produktion an den Bedürfnissen der Konsumenten sein. Dies kann weder das Resultat von bürokratischen Verwaltungsentscheidungen noch von Marktautomatismen mit dem Regulativ der zahlungskräftigen Nachfrage sein, sondern nur Folge eines ständigen Anpassungsprozesses, der von Partnern mit unterschiedlichen Interessenlagen […] vollzogen werden muß.»32 Über territoriale Räte sollten die KonsumentInnen ihre Interessen direkt und nicht nur über ihr Marktverhalten in die betrieblichen Pläne einbringen können. Da Mangelerscheinungen und Angebotsmonopole oft genug dazu gezwungen hatten zu kaufen, was in den Läden zu finden war, konnte der Markt ohnehin nicht regulierend im Sinne der KonsumentInnen funktionieren. In welchem Maße so die Produktion der Betriebe beeinflussbar gewesen wäre und in welchen Wirtschaftsbereichen sich dieses Modell am ehesten hätte anwenden lassen, ist allerdings schwer zu sagen. Auch hätte eine solche Ökonomie bei der Effektivität im herkömmlichen Sinne mit dem bürgerlichen Wirtschaften sicherlich nicht Schritt halten können. Sie wäre aber, so hoffe ich, frei gewesen von jener Unterdrückung, der sonst viele bei der Arbeit ausgesetzt sind und hätte die Möglichkeit vielfältiger Selbstbestimmung geboten. Ob wir so mit einer Ordnung hätten konkurrieren können, die in der Produktivität der Arbeit kaum zu übertreffen ist, ist ungewiss.

Deutlich wird, dass die VL bei solcher Selbstbestimmung der direkten Demokratie viel Raum geben wollte und dass es ihr beim Eintreten für einen anderen Sozialismus überhaupt um mehr ging als nur um Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: Wir strebten Geschlechtergleichheit an, ökologisches Wirtschaften, eine Neuordnung der internationalen Beziehungen und noch mancherlei anderes – im Grunde war eine neue Lebensweise unser Ziel. In welcher Auflage dieses Programm verbreitet wurde, ist mir nicht bekannt. Insgesamt jedenfalls war der Wahlkampf weitgehend für die Katz: Zwar hatten die Gruppen witzige Plakate geklebt, unverwechselbar in Schwarz und Rot, und waren mit ihren Materialien auf die Straße gegangen, doch hatte das, wie die Zahlen auf Kreisebene zeigen, kaum Einfluss auf das Ergebnis.

Wir hatten ohnehin damit gerechnet, dass höchstens 20 Prozent der Wählerschaft für sozialistische Ziele stimmen und sich die allermeisten davon für die PDS entscheiden würden, die ja viel bereut hatte und nun einen recht geläuterten Eindruck machte. Doch selbst Pessimisten wie ich hatten auf ein Mehrfaches der von uns erreichten 0,18 Prozent gehofft. Am besten hat die VL bei den DDR-BürgerInnen im Ausland abgeschnitten, das einen eigenen Wahlkreis bildete, in Prenzlauer Berg und in Halle-Neustadt – 0,58 bzw. 0,52 und 0,40 Prozent. Die WählerInnen kamen vermutlich aus den gleichen Gesellschaftsbereichen wie die Mitglieder, aus der linksoppositionellen Jugend, der Intelligenz und der Angestelltenschaft. Ich hätte gern gewusst, was es für Menschen waren, die uns als Nichtmitglieder der VL ihre Stimme gegeben haben, doch sie sind schwer zu finden. Vor einiger Zeit kam ich beim Schlange stehen mit einer Frau ins Gespräch über die PDS, die Herbstrevolution und dergleichen Lieblingsthemen hier im Osten und sagte ihr, dass ich mich im Dezember 89 den Vereinigten Linken angeschlossen hatte, worauf ich von ihr erfuhr, ihr Mann habe aus idealistischem Überschwang am 18. März VL gewählt. Ich gab ihr meine Karte, habe aber nie wieder von ihr gehört.

Gegen die Partei des Demokratischen Sozialismus, die auch die Favoritin der Freunde des alten Systems gewesen war, blieben wir ein Nichts: Sie erhielt rund 1,9 Millionen Stimmen, das waren 16,4 Prozent. Doch hat die Bürgerbewegung des demokratischen Sozialismus, die VL, mit 20.000 Stimmen das Potenzial an Gleichgesinnten sicherlich bei Weitem nicht ausgeschöpft. Wenn ich von einem Scheitern der VL spreche, dann meine ich immer diesen Sachverhalt; dass wir die vielen, die genug hatten vom Sozialismus, nicht erreichen konnten, war ohnehin klar. War der Grund dieses Scheiterns, dass wir, wie Th. einmal schrieb, außerstande waren, eine überzeugende Alternative zu den Wendehälsen in der SED-PDS und den neuen Gruppierungen zu formulieren?33 Das klingt nach subjektivem Unvermögen; tatsächlich aber ließ sich eine solche Alternative damals meines Erachtens gar nicht benennen. Überhaupt ist für Wahlentscheidungen kaum allein das Programmatische bestimmend. Dass VL-Versammlungen oft anderthalb Stunden verspätet begannen und sich hinschleppten bis zur völligen Erschöpfung der letzten Anwesenden, wusste ja zum Glück fast niemand. Sprach das Bild gegen uns, das wir am Zentralen Runden Tisch abgegeben haben? Seine Sitzungen wurden vom Fernsehen übertragen; diese Sendungen waren unser Hauptzugang zur Öffentlichkeit. Gesehen habe ich sie mangels Empfänger nie. Sind Mensch und Stil eins, wie Buffon meint, wird auch dort eine kämpferische Verbissenheit unser Kennzeichen gewesen sein. Gegen den hochberedsamen, professionell und authentisch zugleich wirkenden Gregor Gysi kamen wir sowieso nicht an. Immerhin hörte ich einmal, als ich, unseren Sticker am Hemd, mit der S-Bahn Richtung Zoo fuhr, wie das junges Mädchen mir gegenüber ihrer Nachbarin zuflüsterte: «Der is inna VL!» Für sie waren wir etwas Besonderes, Exotisches gar, das Salz im Einheitsbrei der Politik; eine Aura des Widerständigen, mehr noch, des Abenteuerlichen umgab uns. Dem Sozialismus treue, aber kulturell mehr konservative DDR-Linke hingegen wird unser Ruf eher abgeschreckt haben.

Und war mit diesem verlorenen Häuflein wirklich die DDR zu retten? Wohl kaum. Wer zu jener Zeit einen besseren Sozialismus im Lande anstrebte, konnte es allein schon deshalb aussichtsreicher finden, die SED-PDS umzukrempeln oder im Neuen Forum mitzuwirken, das sich als einzige Bürgerbewegung rasch entwickelt hatte. Es gab aber auch positive Gründe, sich gerade jeweils dort zu bemühen: Blieb man in der PDS, arbeitete man in vertrauten Milieus im Bunde mit anderen gleicher Herkunft und mit dem Reformer Gysi an der Spitze, war also auf diese disziplinlose VL nicht angewiesen. Auch im Neuen Forum hatten sozialistische Linke zumindest in Berlin anfangs einige Wirkungsmöglichkeiten, und zwar ohne sich – wie in der PDS – mit alten Betonköpfen herumstreiten zu müssen. Die VL blieb vom Umfang her weit dahinter zurück und hat auch nur einen winzigen Teil der mehr als zwei Millionen Mitglieder der SED (Stand Oktober 1989) für sich gewinnen können. Wichtig war: Sie mussten von sich aus zu uns kommen. Und wenn die Partei sich 1989 aufgelöst hätte, wie mancher damals verlangt hat? Ich befürchte, die VL wäre dann zur Massenunterkunft für politisch Obdachlose geworden und hätte ihre ursprüngliche Kultur verloren; 10.000, 15.000 einstige SED-Mitglieder hätten dafür schon gereicht.

Es sprach also im Frühjahr 1990 für links denkende oder wenigstens empfindende Menschen einiges dafür, mehr aber anscheinend dagegen, bei Wahlen der VL die Stimme zu geben. Als im Mai letztmals das Ost-Berliner Stadtparlament gewählt wurde, hatten wir im Bunde mit anderen Kleinorganisationen als Alternative Linke Liste 0,8 Prozent erreicht. Um im Dezember ʼ90 in den Bundestag einziehen zu können, brauchte man aber 5 Prozent der Stimmen im Wahlgebiet Ost (ehemals DDR). Drei Möglichkeiten gab es für uns: Linke Liste der PDS, Bündnis mit den Bürgerbewegungen – oder keinerlei Kandidaturen. Unsere Aufgaben lagen doch anderswo; über die Parlamente hätten wir die Politik zudem selbst dann nicht merklich beeinflussen können, wenn sich die VL einhellig für eines der beiden Bündnisse entschieden hätte. Bei Verhandlungen komme er sich vor wie ein bezahlter Hochstapler, äußerte einer unserer Landesgeschäftsführer einmal im DDR-Sprecherrat. Eigentlich sei die VL nur ein Mythos, sagte ich später zu B. Aber diesen Mythos brauchen wir, meinte er darauf. Wir waren ja jene DDR-Kritiker, die sich trotz allem für den Sozialismus einsetzten: Th.s Arbeit am ZIW folgten anderthalb Jahre Haft aufgrund angeblich illegaler Westkontakte, B. hatte wegen geheimer Zirkeltätigkeit den Arbeitsplatz verloren, ich unter anderem wegen meines linienfernen Geschichtsbildes.

Mit Verdiensten dieser Art konnten wir aber, wie ich schon damals fand, beiden möglichen Partnern im Vorfeld der Bundestagswahl allenfalls als Lockvogel dienen. Der PDS, insbesondere ihrer Führung, wären wir in dieser Rolle höchst willkommen gewesen, zumal wir, wie von dort zu hören war, den Idealen des Herbstes treu geblieben waren und sie nun gern deren Hüterin gespielt hätte: Im Herbst 90 für einen Frühling der Ideale vom Herbst 89! war damals im ND zu lesen. Legitimieren konnte sie ihren Anspruch am besten mit der VL. Vielen vom Bündnis 90 dagegen war die einzige Bürgerbewegung mit sozialistischem Programm nicht geheuer; gestört hat sie und einige parteilose Linke zudem, dass die VL SED- bzw. PDS-Mitglieder aufnahm. Wolfgang Ullmann, vormals Demokratie jetzt!, war missbilligendes Erstaunen anzusehen, als er im Haus der Demokratie einmal bei einem Mit-VLer und mir den schwarz-roten Anstecker am Hemd bemerkte: Was, die gibt’s immer noch? Sicherlich hätte Bündnis 90 mit uns gern der PDS Stimmen abgewonnen, doch war gar nicht sicher, dass Kandidaturen der VL ihrer Liste unterm Strich ein Plus bringen würden. Durch B.s Verhandlungsgeschick kamen wir aber auch hier unter. Ich hatte in der Hoffnung, so die Zusammenarbeit alternativer Linker zu fördern, für Gespräche mit beiden Seiten gestimmt. Tatsächlich aber ist die Zeit vor den Wahlen für solche Brückenschläge denkbar ungünstig. Immerhin konnten wir an den Wahlprogrammen der zwei Bündnisse mitschreiben.

Bei der VL-Wahlbeschlusskonferenz vom 1. September 1990 entfiel auf beide etwa die gleiche Stimmenzahl34; eine Minderheit, gut 20 Prozent, lehnte Kandidaturen ab: die Leipziger VL aus Prinzip, die Hallenser, weil ihnen die außerparlamentarische Arbeit erheblich wichtiger war. Da wir uns nicht einigen konnten, trat die VL als Ganzes nicht an; wer wollte, konnte auf der Liste seiner/ihrer Wahl kandidieren. Für die Linke Liste ließ sich Th. aufstellen. Mancher hat das als schwarzen Tag für die VL empfunden, auch er selbst hat sich später kritisch dazu geäußert. Diese VL-Kandidaturen waren, was ich damals nicht wusste, Teil eines größeren Vorhabens; Ziel war es, auf parlamentarischer Ebene alternative Linke aus der PDS und den Grünen zu verbinden. Die Sache scheiterte schon im Vorfeld, da die West-Grünen 1990 nicht in den Bundestag kamen. Der politische Schaden dieser VL-Teilung war meines Erachtens beträchtlich, auch zwischen B. und Th. war das Verhältnis, wie mir schien, nicht mehr wie zuvor. Die fünf Mandate, die für uns in Bund und Ländern anfielen, eines in Bonn, drei in Berlin, eines in Thüringen, haben uns wenig gebracht und dazu mit einem Rechtsschwenk und einer unzureichend aufgearbeiteten IM-Vergangenheit konfrontiert. Nur durch die Wahlkampfkosten-Rückerstattung hat die VL von ihrer Beteiligung profitiert (nach dem 18. März war sie leer ausgegangen).

5.

Mitte September wurde in der Volkskammer der Einigungsvertrag debattiert. Auch Th. kam zu Wort. Er sprach vom Opportunismus der einstigen Blockparteien (geißelte ihn, wie man früher gesagt hätte), von den Hoffnungen der Massen, die sich die Demokratie erkämpft hatten, und von den Einheitsgewinnen des Westens. «Wenn Arroganz und Selbstherrlichkeit jedes Maß verlieren, wird sich jede Regierung dem außerparlamentarischen Protest der Straße ausgesetzt sehen», so ein Kernsatz seiner Rede35. Das Volk aber hoffte geduldig weiter, blieb der Straße fern und widersetzte sich auch nicht in der Wahlkabine: Zwar kam die CDU am 2. Dezember nicht mehr auf die Stimmenzahl vom März, doch SPD und PDS ging es ebenso; die PDS (bzw. Linke Liste/PDS) brach sogar regelrecht ein und verlor im Osten fast 40 Prozent der Stimmen. Zuvor, am 20. September, war der Einigungsvertrag von der Volkskammer mit großer Mehrheit angenommen worden; in einem Westmedium hieß es, sogar Th. habe dafür gestimmt. Er gab mir darauf die Stimmkarten, die er in dem Falle nicht gebraucht hatte, die blaue für Enthaltung und die weiße Ja-Karte. Zusammen mit anderen Erinnerungsstücken, dem Telefonverzeichnis zum Beispiel, «Nur zur persönlichen Verwendung!», und den übrig gebliebenen Essenmarken für die Parlamentskantine, liegen sie nun in meinem Archiv.

Dann waren die letzten Tage der DDR gekommen. Alles hier, der Staat wie die Stadt, schien unwirklich zu werden, lag in fahlem Licht da wie bei Sonnenfinsternis. Am 2. Oktober hatte ich bis zum Abend im Büro zu tun. Die Volkskammer tagte zu der Zeit schon im vormaligen ZK-Gebäude, die Stasi-Mitarbeit von Abgeordneten war das Thema ihrer letzten Sitzung. In den Protokollen finde ich sie nirgends verzeichnet, sie war auch nicht öffentlich. Irgendwie kam ich aber doch an eine Besucherkarte. Es war gegen neun, im halbdunklen Plenarsaal herrschte Chaos: Antrag, Gegenantrag, Ergänzungsantrag, Antrag zurückgezogen … Eine Viertelstunde reichte mir.

Am nächsten Morgen, drei Tage vor meinem 41. Geburtstag, erwachte ich als Bürger der Bundesrepublik Deutschland. In der Presse hatte man uns, wenn ich mich nicht irre, zuvor noch beruhigt: Die Verwandlung sei völlig ungefährlich, würde nicht einmal unseren Schlaf stören, und wir würden sogar unsere alten DDR-Gesichter behalten. So war es auch. Nur ein leichter, ab und an mäßiger, jedoch lang anhaltender Seelenschmerz ist mir von der Prozedur geblieben: Ich war ja nicht nur ohne mein Zutun, sondern gegen meinen erklärten Willen zum Bundesbürger geworden. Drei Monate konnten wir die Räume im Haus der Parlamentarier – oder hieß es nun ehemaliges Haus der Parlamentarier? – noch nutzen; ich saß hin und wieder in unserem bald leer geräumten Büro, um ungestört zu telefonieren. Der Abtransport der Akten aus Th.s Räumen verzögerte sich dagegen, und so landeten sie im Müll. Verantwortlich dafür war der Verwaltungsdirektor; im Vorstand der DDR-CDU war er Mitglied des Präsidiums und Sekretär für Agitation gewesen.

Der 3. Oktober bedeutete keinen so tiefen Einschnitt, wie es zunächst scheinen könnte: An den Verhältnissen änderte sich nicht mehr viel. Mit der Wirtschaft im Osten ging es allerdings steil bergab, und so kam es in den Jahren 1991 bis 1993 im Kampf gegen die Betriebsschließungen endlich zu massenhaftem Protest. Er wurde aber der herrschenden Ordnung zu keiner Zeit gefährlich, er richtete sich nicht einmal gegen sie. Wir hatten also, wie Th. später zu Recht feststellte, mit unseren Warnungen vor den Einheitsfolgen recht behalten, konnten aber diese Entwicklung nicht nutzen und in die sozialen Auseinandersetzungen im vereinten Deutschland kaum mehr eingreifen. Nicht zuletzt, weil die VL im Spätsommer 1990 schon begonnen hatte, sich aufzulösen. Von denen, die anfangs mitgearbeitet hatten, waren bereits manche weggeblieben, Neue kamen kaum hinzu, und durch den Rückzug der Autonomen36 war auch das Spektrum innerhalb der VL schon schmaler geworden. Nun aber verloren die Gruppen erheblich an Mitgliedern, trafen sich immer seltener oder verschwanden völlig, oft genug spurlos: Ein zentrales VL-Archiv, das ihre Nachlässe hätte übernehmen können, fehlte.

Als ich Ende 1990 aus dem Arbeitssekretariat ausschied, gab es die Gesamt-VL noch durch die Zusammenkünfte des Sprecherrats und die gemeinsame Grundgesinnung, doch ihr einziges Vorhaben war der Volkskammer-Wahlkampf gewesen. Im Jahr darauf wurde in Halle ein neues Statut verabschiedet, die VL wirkte nun als Verein, ihre Strukturen wurden aber bald kaum mehr gebraucht: 1992 oder 1993 kam der LändersprecherInnenrat, wie er nun hieß, letztmals zusammen. Die Stelle im Arbeitssekretariat war wohl schon vorher nicht mehr besetzt worden. Als politische Kraft trat die VL seit der Wahl vom Dezember 1990 außerhalb der Parlamente nur noch lokal in Erscheinung; die wenigen restlichen Gruppen wirkten jede für sich vor sich hin: Wir in Berlin wurden zum Bildungszirkel und befassten uns mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, die Hallenser engagierten sich beim örtlichen Freien Radio, die Leipziger Gruppe war eng mit der Hausbesetzerszene verbunden – oder mit der Friedensbewegung dort? Später wurde auch der Kontakt zwischen diesen Gruppen lockerer.

An sich, um mit Hegel zu sprechen, bestand die VL also längere Zeit noch, aber nicht mehr für sich. Denn wo ein Zentralgremium ebenso fehlt wie eine gemeinsame Praxis der einzelnen Gruppen, hätten diese wenigstens durch horizontale Verbindungsaufnahme den Binnenzusammenhang herstellen müssen. Doch das wurde von uns kaum als Aufgabe begriffen¸ es war auch niemand dafür eigens zuständig. Nicht zuletzt deshalb wurde die VL als Gesamtorganisation bald zur Fiktion. Zwischen den Infoblättern Vau Ell (Berlin), klinke (Erfurt) und vl Halle, später Subbotnik in L. A. (Halle) fehlte der Austausch; vor allem gab es kein zentrales Blatt, das die Gruppen durch Information und Diskussion hätte verbinden können; 1992/93 war es dafür wohl auch zu spät. Das Mailbox-System, das wir damals eingerichtet haben, war für Vernetzungen ungeeignet und wurde kaum genutzt, denn man konnte sich nicht vom eigenen PC aus in das System einloggen, sondern musste dafür ins VL-Büro. Privaten Internetzugang hatte bis weit in die 90er Jahre hinein fast niemand.

Ein Forum für breitere Kreise der alternativen Linken hätte die Zeitschrift werden können, die B. in den frühen 90ern hatte gründen wollen. Er brachte für solch ein Unternehmen wichtige Voraussetzungen mit, kannte die linke Szene in Ost und West ebenso wie die Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus. Was fehlte, war zunächst das Startkapital. Als wir bei M. aus der Mediengruppe der VL Berlin in der Prenzlauer Allee verabredet waren, um noch einmal über Ziele, Titel und dergleichen zu sprechen, warteten wir vergebens auf B. Nach einer dreiviertel Stunde ging ich und traf ihn frierend auf dem großen, dunklen Hof. Er hatte vergessen, welcher Aufgang der richtige war, und gehofft, jemand würde kommen und ihn mitnehmen. Wir waren zuvor schon kaum vorangekommen mit dem Vorhaben, nun gaben wir es auf. Es war auch fraglich, ob das Blatt Absatz gefunden hätte.

Mitte der 90er Jahre war von der Berliner VL kaum noch etwas zu hören. Es gab damals sogar einen Beschluss ihres Politischen Beirats, sich nicht mehr als VL an die Öffentlichkeit zu wenden. Vielleicht hat der Beirat – wer auch immer das gewesen sein mag – nicht einmal diesen Beschluss öffentlich gemacht, denn ich habe jetzt erst durch B. davon erfahren. 1996 erschien nach größerer Pause mit der Nr. 30 das letzte Heft unseres Infoblättchens Vau Ell, das schon seit Längerem fast nur Nachdrucke gebracht hatte. Ich fuhr, um Porto zu sparen, in Berlin herum und steckte es hier, da und dort in die Briefkästen. Im Jahr darauf stellte die Gruppe, die zu einem Zirkel von kaum mehr als einem halben Dutzend Leuten geschrumpft war, die Arbeit vollends ein. In der Greifswalder Straße, ab 1999 neuer Standort des Hauses der Demokratie, haben wir unser Büro zwar bezogen, aber faktisch nie genutzt. Dennoch war es für uns wichtig: Nur als Mieter hatten wir Sitz im Kuratorium der Stiftung «Haus der Demokratie und Menschenrechte», wie es von da an hieß, dem einzigen Bereich, in dem VL-Mitglieder als solche weiterhin tätig waren. Sie hatten auf das Geschehen dort beträchtlichen Einfluss, waren aber an keine politisch tätige VL-Gruppe mehr angebunden. Miteinander in Kontakt geblieben und weiterhin aktiv sind sie und die wenigen übrigen Mitglieder der VL Berlin jedoch fast alle. M. bin ich, nachdem wir uns lange nicht gesehen hatten, in einer der Flüchtlingsunterkünfte in Prenzlauer Berg wiederbegegnet, wo wir am 2. Weihnachtsfeiertag früh bei der Essenausgabe geholfen haben.

6.

Es ist wohl klar, dass die VL zum Aufbau jener Gegenmacht von unten, zu dem sie in ihren Erklärungen bis hin zum Volkskongress-Aufruf vom 9. Dezember immer wieder ermutigt hatte, zunächst kaum mehr als verbal beitragen konnte. Und wie die Dinge lagen, blieb bis weit in den November hinein die Reichweite ihrer Aufrufe und Verlautbarungen gering. Eine Kernfrage unserer Geschichte ist nun, weshalb sie im Dezember 1989, als sie dank wachsender Mitgliederzahl und durch den Aufbau von Strukturen in gewissem Maße zumindest arbeitsfähig wurde und auch in den Medien stärker präsent war, weniger für dieses Ziel aktiv geworden ist, sondern zumeist auf anderen Feldern. Eine Ausnahme war der betriebliche Bereich; größter Erfolg war hier die Betriebsrätekonferenz vom 3. Februar 1990 im Werk für Fernsehelektronik in Berlin-Schöneweide. Von der Betriebsgruppe der VL Berlin eingeladen, berieten Abgesandte von etwa siebzig Belegschaften, wie man allerorts die Stellung der Räte und der Gewerkschaften stärken könnte. Auch die VL Halle, die zum Teil stark räteorientiert war, hat in dieser Richtung nach außen wirken können. Es war unser einziger Tätigkeitsbereich, der später dokumentiert worden ist37. Geholfen hat uns in dem Fall, dass uns ausnahmsweise einmal ein (wenn auch nur kleiner) Teil der Basis entgegengekommen ist. Jedoch nur kurze Zeit: Die Konferenz blieb ohne Nachfolge, schon bald bestimmte die Betriebsverfassung der BRD die Debatten.

Hier zeigt sich auch ein erster Hauptgrund für die Abkehr von der ursprünglichen Gegenmacht-Strategie: Schon ab November 1989 wuchs die Zahl derer, die sich auf die deutsche Einheit orientierten, folglich jede Art von Sozialismus ablehnten und damit auch das Wirken der VL. In Leipzig hieß es montags bald Rote aus der Demo raus; vor den Volkskammerwahlen wurden (ich weiß nicht mehr, wo) Plakatkleber der VL von Sozialdemokraten angegriffen, die sich anscheinend der Ebert-Noske-Linie verpflichtet fühlten. Ich erinnere mich noch, wie B. in einer Pause der VL-Versammlung vom 10. Dezember äußerte: Wenn wir jetzt nicht voll dagegenhalten, geht hier alles den Bach runter. Aber wir hatten wenig dagegenzusetzen, und wo sich die Westorientierung verbreitete, war dem Aufbau einer Gegenmacht von unten, wie die VL sie noch im Volkskongress-Aufruf gefordert hatte, der Schaffung territorialer Machtorgane in Form demokratischer Volksausschüsse zum Beispiel, der Boden entzogen. Denn im Kampf für diese Gegenmacht, für den neuen Sozialismus sollte sich möglichst das ganze Volk vereinen: Nur mit Unterstützung einer stark überwiegenden Mehrheit wäre eine Alternative zu den Systemen in beiden Teilen Deutschlands lebensfähig gewesen.

Erschwerend kam hinzu, dass die Massen grundsätzlich wenig Neigung zur Selbstorganisation zeigten: Rechne ich von den 16 Millionen, die zu der Zeit in der DDR lebten, all die ab, die aufgrund ihres Alters oder sonstiger Eigenarten nicht imstande waren, sich mit Politik zu befassen, bleibt als Bezugsgröße eine Zahl von etwa 10 Millionen. Davon sind selbst im Neuen Forum nur 0,2 bis 0,3% tätig geworden; insgesamt haben sich wohl kaum mehr als 50.000 AktivistInnen damals in selbstorganisierten Zusammenhängen bewegt. Man ging zur Kundgebung, zur Demo, und damit war für die allermeisten die Bürgerpflicht erfüllt.

Eigentlich hätten nun diejenigen, die diese Strategie des Aufbaus der Gegenmacht von unten entwickelt hatten, uns, die wir neu in der VL waren, signalisieren müssen, dass hier etwas zu Ende ging und wir über die Möglichkeiten weiterer politischer Arbeit debattieren sollten. Doch sich schon im Dezember 1989 oder Januar 1990 offen einzugestehen, dass die DDR nicht im Sinne jenes Sozialismus, den wir anstrebten, zu revolutionieren war, wäre (ich nehme es jedenfalls an) entmutigend und für die VL vielleicht gar existenzgefährdend gewesen. Denn der Hoffnung auf die Nähe dieses Sozialismus verdankte die VL mehr als allem anderen ihr Entstehen, ihre Anziehungskraft, ihren Elan. Diese Hoffnung war schwer zu begründen, sie war, wie die «Böhlener Plattform» zeigt, von Gewissheit weit entfernt, dennoch war sie unser wichtigster Antrieb. Also trennte man sich zumindest in der VL Berlin lieber stillschweigend vom alten Kurs: Der Volkskongress-Aufruf blieb der letzte seiner Art. Bald kam die Idee der Gegenmacht von unten nur noch in H.s gelegentlichen Klagen zur Sprache, bei den Bemühungen um diesen Kongress allein dazustehen; wer im Januar oder Februar 1990 zur VL stieß, verstand kaum mehr, was es mit dieser Macht auf sich hatte und wie wichtig sie für den von uns angestrebten Sozialismus gewesen war.

Ein zweiter Hauptgrund für das damalige Abgehen von der anfangs vertretenen Strategie könnte subjektiver Natur gewesen sein: Auch wenn wir unsere Aufgaben beim Aufbau dieser Gegenmacht nie genau bestimmt haben und sie sich zudem unterschiedlich definieren ließ, im Sinne des Volkskongress-Aufrufes oder nur als Basisbewegung, daran mitzuwirken verlangte stets einiges an Volksverbundenheit und Sendungsbewusstsein oder wenigstens Selbstvertrauen, an Fähigkeit, andere anzusprechen, gemeinsam Vorhaben zu planen, zu verwirklichen und Konflikte auszutragen. Doch damit konnten in der VL Berlin – und vermutlich ebenso andernorts – nur wenige aufwarten. Vielen von uns fehlte die Lebenserfahrung, andere waren zu introvertiert … randständig … intellektuell. Oder alles zusammen. Obendrein drohte bald ständiger Streit mit all jenen, die sich von der deutschen Einheit goldene Berge erhofften. Wir ahnten zumindest, dass wir uns mit alledem etwas vorgenommen hatten, für das uns nicht nur zahlenmäßig, sondern ebenso im qualitativen Sinne die Kräfte fehlten (was sich im übrigen bei jedweder Basisarbeit bemerkbar machen musste). Ahnten es und verhielten uns entsprechend.

Neben der Betriebsgruppe entstand vom Spätherbst 1989 an eine Reihe weiterer Arbeitsgruppen der VL Berlin, über deren Wirken ich aber wenig sagen kann; auf alle Fälle waren sie nicht irgendwo tief unten an der Basis tätig, sondern leisteten Zuarbeit für die Runden Tische (vielleicht waren sie mit den Arbeitsgruppen dort sogar identisch) und für unser Programm zur Volkskammerwahl. Denn das waren ab Dezember die Hauptvorhaben der VL Berlin. Beide waren gesellschaftlich wichtig, was aber nicht hieß, dass wir uns daran unbedingt hätten beteiligen müssen. Was es für die Strategie der VL bedeutete, wenn wir es doch taten, auch das wurde kaum beredet. Die Arbeitsfelder konnten wir uns selbst aussuchen, und so wurden wir rasch in diesen zwei Bereichen aktiv: Sie boten Möglichkeiten politischer Tätigkeit, die uns sinnvoll erschienen und zugleich dem eigenen sozialen Charakter, den eigenen Fähigkeiten entsprachen. Zwar wurde auch an den Runden Tischen mitunter heftig gestritten, und im Wahlkampf anderen Zettel in die Hand zu drücken setzte, wie ich bei einem Einsatz am 1. Mai 1990 bald gemerkt habe, eine Keckheit voraus, die mir fremd war. Man war aber hier wie da meist unter seinesgleichen und hatte mit vertrauten Dingen statt mit widerstrebenden Massen zu tun. An den Runden Tischen konnte man noch meinen, Einfluss zu haben auf den Gang der Geschichte, was uns ein wenig entschädigte für das Scheitern unserer Idee der Selbstorganisation des Volkes. Ich sehe in der Mitarbeit dort und später dann am Wahlkampf vor dem 18. März ein halb bewusstes, halb unbewusstes Ausweichen vor dem uns feindlichen Leben, will sie jedoch nicht darauf reduzieren. Auf ihre Weise problematisch waren diese Aktivitäten, die eine wie die andere, auf alle Fälle.

Die Runden Tische wurden in den frühen Papieren der VL nirgends erwähnt; sie orientierte darauf, Generalsekretär Krenz durch Druck von unten zu stürzen und eine Oppositionsregierung an die Macht zu bringen. Sich an den (zentralen) Runden Tisch zu setzen, so B., hätte bedeutet, eben darauf zu verzichten. Auf meine Frage an ihn und Th., weshalb denn auch sie als Vertreter der VL dort gesessen hätten, sagten sie mir etwa gleichlautend, man hätte sich ansonsten isoliert. Krenz war allerdings, als am 7. Dezember der zentrale Runde Tisch erstmals tagte, bereits abgetreten. Wem es jetzt noch um Machtübernahme ging, der hätte Modrow stürzen müssen, was aber schwierig gewesen wäre, zumal das Volk gar keine Oppositionsregierung anstrebte. «Neues Forum zulassen!» hieß es auf der Großdemonstration vom 4. November häufig, nicht dagegen «Neues Forum an die Regierung!». B. meinte einmal, es hätte schon mitgezogen, wenn die Bürgerbewegungen es gefordert hätten. Doch weshalb sollte es sich für eine Regierung einsetzen, deren Mitglieder ihm kaum bekannt und im Grunde fremd waren? Das Scheitern der Volkskongress-Idee hat es bald darauf noch einmal gezeigt: Das Volk ließ sich nicht so dirigieren, wie es manche Vertreter der Bürgerbewegungen damals gern gehabt hätten. Die Meinung, die Macht habe im November/ Dezember 1989 auf der Straße gelegen, erweist sich, so scheint mir, bei näherem Hinsehen als zweifelhaft, wenn nicht gar als illusionär38. Ob die VL im Herbst 1989 von solch einer Regierungsbeteiligung profitiert hätte, ist im übrigen ungewiss; die Mitarbeit am zentralen Runden Tisch hat ihr immerhin zu einer Bekanntheit verholfen, die sie von sich aus wohl nie erreicht hätte.

Die Teilnahme an der Volkskammerwahl vom 18. März 1990, der zweite Bereich, auf den wir uns konzentriert haben, hat der VL viel abverlangt: Drei DDR-Delegiertenkonferenzen waren erforderlich, um Statut, Wahlprogramm und Kandidatenliste zu verabschieden. Unter den gegebenen Bedingungen konnten wir nur mit einem Programm für eine erneuerte DDR, einen besseren Sozialismus antreten, obwohl das keinesfalls mehrheitsfähig war. Wer sich vielleicht seit zwei Jahrzehnten schon für einen solchen Weg eingesetzt hatte, war im Moment des Sieges über die alten Gegner ohnehin außerstande, das anfängliche Nahziel gleich wieder aufgeben: Einmal wenigstens musste man es versucht haben. Mit der Formulierung dieses Programms griff die VL ein letztes Mal auf eine Orientierung zurück, aus der sich eigentlich gar keine Tagesaufgaben mehr ableiten ließen.

Gerechtfertigt war das vielleicht dennoch: Sie allein war imstande, ein grundlegend neues Sozialismusmodell konkret und umfassend vorzustellen, und sie konnte es nur noch mit diesem Wahlprogramm. Ein Programm der VL als Organisation wäre, da es auf einen anderen Zeithorizont hätte berechnet sein müssen, damals gar nicht mehr zu schreiben gewesen. Das Wahlprogramm hingegen musste sie sogar vorlegen, nachdem sie sich zur Wahlbeteiligung entschlossen hatte, und zwar a tempo, ohne sich in endlosen Debatten zu verzetteln, denn die Vorverlegung des Wahltermins vom Mai auf den März hatte (fast?) alle Beteiligten in Zeitnot gebracht. Und sie konnte ein solches Programm auch nur entwerfen, wenn sie de facto allein antrat; als Teil von Bündnis 90 wäre es ihr nicht möglich gewesen39. Dieses Wahlprogramm der VL, das auch von der Linken damals kaum beachtet wurde, halte ich inzwischen vom geistigen Gehalt her für eines der wichtigen programmatischen Dokumente in der Geschichte des Sozialismus hierzulande: Es ist kein Katalog frommer Wünsche, sondern zeigt auf, wie eine solche Gesellschaft hätte funktionieren können.

Dass wir bei der Abkehr von der Erststrategie, mit der die Hinwendung zur Arbeit an den Runden Tischen und zum Wahlkampf verbunden war, Debatten vermieden hatten, war sicherlich im Moment hilfreich, aber längerfristig unbefriedigend. Andererseits war keinesfalls sicher, ob wir bei einer offenen Diskussion der Lage und der Möglichkeiten der VL, bei der wir uns auch eingestanden hätten, dass unsere Hoffnung auf den baldigen Übergang zu einem freiheitlichen und demokratischen Sozialismus sich nicht erfüllen werde, ob wir bei einer solchen Diskussion andere Bereiche hätten benennen können, in denen wir längerfristig weiterarbeiten wollten und auch konnten. Gerade zu der Zeit, in den ersten Wochen des Jahres 1990, wäre das besonders schwierig gewesen: Das Land befand sich in einem Zwischenstadium, manche hielten sogar die Rückkehr zum alten System für möglich, Gerüchte warnten vor einem bald zu erwartenden Stasi-Putsch. Zugleich wusste man nicht, wann das Kapital denn nun leibhaftig und in voller Größe erscheinen würde, hatte noch keine genauen Vorstellungen von den Folgen seines Einmarschs.

7.

Wir konnten uns einiges zugute halten damals im Februar 1990: Nur die VL ist im Herbst 1989 konsequent für den einzigen zu jener Zeit noch möglichen Sozialismus eingetreten, den freiheitlichen und demokratischen; sie hat das in den Aufbau ihrer Organisation umgesetzt und in ein detailliertes Programm: eine Ehrenrettung des Sozialismus sozusagen. Aber leben konnten wir davon nicht. Da uns für die Politik im engeren Sinne die Kräfte fehlten, wir dabei auch in Konflikt mit unseren Grundsätzen kamen40, und zur Basisarbeit insgesamt gesehen die Fähigkeiten, die viele erst hätten erwerben müssen, da zudem die Wahlbeteiligungen und die Runden Tische Episode blieben, uns also keine Perspektive boten, war unser Fortbestand als politisch arbeitsfähige Organisation weiterhin stark gefährdet. Unsere letzte Chance hatten wir, wie mir scheint, im Sommer/ Frühherbst 1990. An den Runden Tischen hatte man zu jener Zeit längst die Stühle hochgestellt, die deutsche Einheit nahte, die Zeichen des Zerfalls der VL mehrten sich, doch noch hätte sie einen Neuansatz in ihrer Arbeit versuchen können. Hatte sie nicht gegen Politbüroherrschaft und Kapital gleichermaßen kämpfen wollen? Ja … sicherlich … aber da die VL-Mitglieder ihren Elan zumeist aus der Hoffnung zogen, ein neuer Sozialismus sei nahe, sind sie vor allem dann gegen die Kapitalmacht angetreten, wenn sie das Erreichen dieses Ziels bedrohte, etwa in den Auseinandersetzungen um die deutsche Einheit. Auf den Kampf gegen das Kapital als Siegermacht hingegen, der eine ganz andere Sache war, hatte sich kaum jemand von uns eingestellt. Es war zudem der Kampf gegen eine fest gefügte bürgerliche Ordnung und nicht mehr gegen ein System in der finalen Krise, das uns seine Regeln zuletzt kaum noch aufzwingen konnte. Immerhin mussten wir auch unter den neuen Verhältnissen unsere ursprünglichen Leitbilder nicht aufgeben, sie wären jetzt aber mit anderen Aufgaben zu verbinden gewesen. Doch in meiner Stadtbezirksgruppe Prenzlauer Berg, die im Herbst 90 erst auf die Beine gekommen war, saßen wir nur herum und rätselten, wie wir uns nützlich machen könnten. Bloß zum Quatschen treffen wollten wir uns nicht, so war schon im Frühsommer 1991 Schluss. Dabei hatten wir in den maroden Vierteln dort soziale Themen direkt vor der Nase: Mieten, Wohnungsmodernisierung, Stadtentwicklung. Wohl zu große für unsere kleine Gruppe. Denn wir hätten berlinweit tätig werden, neue Arbeitsgruppen gründen, in sie die Reste anderer, in Auflösung begriffener Stadtteilgruppen einbeziehen und den Kontakt zu Initiativen wie «Wir bleiben alle!» pflegen müssen, die unter anderem für den Verbleib der Altmieterschaft bei Wohnungsrekonstruktion kämpfte. Ich glaube, wir fühlten uns von alledem überfordert: Der Dampf war raus.

Doch wenn überhaupt, wäre die VL wohl nur als rotes Gegenstück zur Grünen Liga, als auch für Mitglieder anderer Gruppen offener oder mit ihnen kooperierender Projektverbund noch dazu gekommen, mehr ins politische oder überhaupt ins gesellschaftliche Leben einzugreifen. Wieder wäre Basisarbeit angesagt gewesen, anderer Art zwar als im Herbst 89, aber anspruchsvoll nach wie vor. Von den objektiven Hindernissen unserer Hindernissen und und HJHhArbeit war schon die Rede, ebenso von einigen ihrer subjektiven Voraussetzungen – es waren aber nicht die einzigen: Die Struktur der Arbeitsgruppen, sofern sie noch existierten, hätten wir ebenso wie den Aufbau der Gesamt-VL durch Ausrichtung auf Schwerpunktthemen den neuen Vorhaben anpassen müssen. Für den Zusammenhalt der Gruppen wären gemeinsame Aktionen und ein zentrales Forum wichtig gewesen. Hier hätten wir Fragen diskutieren können, denen wir uns zuvor kaum gewidmet hatten: wie nämlich die Arbeit auf konkreten Feldern des gesellschaftlichen Lebens mit dem Kampf für eine sozialistische Entwicklung zu verbinden sei. Organisatorisch hätten wir an die Ziele unserer Frühzeit angeknüpft, wenn wir versucht hätten, nicht nur als Dienstleister zu wirken, sondern beizutragen zur Selbstorganisation anderer.

Nur auf praktischem Wege wäre es, wie mir scheint, auch möglich gewesen, jene alternativen Linken zusammenzuführen, die nun teils in der PDS, teils in den Bürgerbewegungen, teils nirgendwo zu Hause waren. Zudem hätte sich manches Vorhaben sicherlich nur als Gemeinschaftswerk dieser Linken verwirklichen lassen. Gerade wir waren ja dank unserer politischen Herkunft und Programmatik besonders befähigt, solche Zusammenarbeit zu fördern; sie blieb unser Ziel, als wir die Hoffnung, die große Vereinigte Linke zu werden, längst aufgegeben hatten. Treffen, Tagungen usw., der Bereich, wo wir tatsächlich tätig wurden, waren dafür weniger wichtig. Ob das erwähnte Vorhaben, im Bundestag mit Hilfe der VL alternative Linke aus unterschiedlichen Parteien zusammenzuführen, überhaupt Erfolg hätte haben können, kann ich nicht einschätzen.

Wie hätte es uns nun – uns, so wie wir waren – gelingen können, die neuen Aufgaben konkret zu bestimmen und uns auf sie vorzubereiten? Ein Rezept dafür anbieten kann ich nicht. Manchmal hilft in solchen Situationen eine charismatische Führungsfigur; auch Th. besaß ein gewisses Charisma, aber eine Rolle wie diese hätte er nicht ausfüllen können, er hätte es, soweit ich ihn kenne, gar nicht gewollt. Auf alle Fälle hätten wir die Selbstverständigungsdebatte, die schon im Winter 89/90 nötig gewesen wäre, aber anscheinend nicht möglich war, nachholen und dann gemeinsam für die Praxis lernen und üben müssen. Beginnen können hätte man das alles beim zweiten DDR-weiten Arbeitstreffen Mitte Juni in Dresden. Es wurde von vielen als Ermutigung empfunden, Ideen zur Umgestaltung unserer Arbeit bot es aber kaum. Es war uns anscheinend nicht klar, wie gefährdet die Existenz der VL im Sommer 1990 bereits war.

Ob wir beim Bemühen um Handlungsfähigkeit, bei der Suche nach Strategien etwas erreicht hätten, steht also auf einem anderen Blatt. Dass die allermeisten es nicht einmal in Erwägung gezogen und sich stattdessen der Vorbereitung der Wahlen vom Oktober und Dezember gewidmet haben, war wohl unser größter politischer Fehler: Diese Vorbereitung hat uns viel Zeit und Kraft gekostet und zugleich von meines Erachtens wichtigeren Aufgaben abgelenkt. Oder sollte man hier statt von einem Fehler von einer grundsätzlichen Schwäche der VL sprechen? Denn es setzte sich hier etwas fort, das sich schon Dezember 1989/ Januar 1990 gezeigt hatte: Der Wahlkampf musste jenes politische Handeln ersetzen, für das uns die Kräfte fehlten.

Andere Linke, die den Realsozialismus abgelehnt hatten, standen nicht besser da als wir. Unsere Untermieter im HdD, der Bund Revolutionärer Sozialisten, wie sich die DDR-Trotzkisten der Mandel-Richtung nannten, und die Alternative Linke, die aus der Westberliner Alternativen Liste kam, sind schon lange vor uns untergegangen; sie hinterließen uns viel Papier. Die Vereinigte Sozialistische Partei (VSP), unser wichtigster West-Partner, schrumpfte zusehends und musste den Status als Partei aufgeben, ihre Sozialistische Zeitung (SoZ) wurde vom Wochen- zum Monatsblatt. Einige Zeit verhandelte B. mit der Ökologischen Linken um Jutta Ditfurth – ohne Erfolg. Was hätte die Ökoli uns auch bringen können? »Nothing to nothing gets nothing«; es nützt nichts, wenn sich VerliererInnen zusammentun. Überlebt hat von den Neuen nur, wer drüben stärkere Unterstützung fand: SDP, Grüne Partei und Bündnis 90. Der Unabhängige Frauenverband hingegen, der uns politisch zumindest nahestand, konnte im vereinten Deutschland weder Wirkungsräume noch ähnlich gesinnte Gruppierungen finden und hat sich 1998 nach langem Abstieg aufgelöst.

Die VL hat zwar formell länger existiert, als nicht nur lokal handlungsfähige politische Gruppierung ist sie aber noch schneller untergegangen; die Frage ist: Wieso? Dass sie ihre ursprünglichen Ziele nicht erreicht hat und dass das auf uns lähmend wirkte und dass ihr für jedwede Basisarbeit nur wenige fähige Kräfte zur Verfügung standen, hat sicherlich dazu erheblich beigetragen, kann ihr frühes Ende aber nicht gänzlich erklären. War unser Weg, organisationsgeschichtlich betrachtet, ein Irrweg? Mir scheint, dass die Instabilität der VL weniger strukturell bedingt war, also durch die Art der Organisation, sondern eher durch die Haltung eines größeren Teils der Mitglieder, die aber nicht von ungefähr kam. Weiterhelfen könnte hier vielleicht ein Vergleich mit der Geschichte der KPD. Auch sie hatte kurz nach ihrer Gründung schon eine schwere Niederlage erlitten: Ihr Versuch, die bürgerlich-demokratische Revolution in eine sozialistische zu überführen, misslang, mehr noch, sie wurde verboten, viele ihre Mitglieder wurden Opfer der Konterrevolution. Dennoch hat sie fortgewirkt, während die VL schon die erste Niederlage nicht verkraften konnte.

Dieser Unterschied hat seine Gründe: Die Neigung zum Umsturz wächst bekanntlich nicht schon, je mieser die Umstände sind. Doch wenn man revolutionär wird, dann mit der Erfahrung von Kriegselend, Mangel des Lebensnotwendigen und rechtem Terror wahrscheinlich ernsthafter und ausdauernder als beim Fehlen etlicher Rechte und Freiheiten. So haben wir alles in allem wahrscheinlich schon in der DDR und erst recht in der BRD nicht jene Dringlichkeit des organisierten Handelns verspürt wie die revolutionären Sozialisten von 1918/1919, auch wenn uns wiederum diese Rechte und Freiheiten vielleicht wichtiger waren als ihnen. Hinzu kam, dass viele VL-Mitglieder noch recht jung waren, im Durchschnitt wohl einiges jünger als die KPD-Mitglieder der Revolutionszeit (ich schließe das daraus, dass die bekanntesten VertreterInnen der VL 1990 um die Vierzig waren, die der KPD, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Leo Jogiches, 1919 etwa zehn Jahre älter). In jungen Jahren bindet man sich, wenn nicht erheblicher Druck der Lebensumstände wirkt, nur selten dauerhaft, schon gar nicht, wenn sich ringsum neue Möglichkeiten eröffnen. Warum aber gerade Jüngere zur VL stießen, das will ich nicht auch noch mutmaßen.

Die Bindungskraft der KPD lässt sich aber nicht allein aus der revolutionären Natur der Partei erklären; es spielte, wie man weiß, oft genug ein Bedürfnis nach Führung durch Autoritäten mit. Mag sein, dass es das auch in der VL gegeben hat, sie war aber nicht darauf angelegt. Nur hat man, jedenfalls in der VL Berlin, wenig getan, Ersatz dafür zu finden: Solidarität, das war ein schönes Motto, doch wer kümmerte sich zum Beispiel um jene, die neu in der VL waren? Eine Willkommenskultur fehlte uns ebenso wie eine Kultur des Dankes. Überhaupt haben wir uns kaum bemüht, ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen, haben wohl nicht einmal erkannt, dass es nötig war. Wie und ob es möglich gewesen wäre, ist eine andere Frage: … hast du dein ganzes Leben dem Kampf … Gladiolenstrauß, Beifall, Urkunde, das war einmal. Unsere Organisation war mit ihren Vorzügen wie ihren Mängeln, die vielleicht nur zwei Seiten der gleichen Medaille waren, Kind einer anderen Zeit.

Man könnte die VL, um sie geschichtlich einzuordnen und ihre Eigenart besser zu verstehen, noch unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung linker Opposition und vor allem der Neuen Linken in Deutschland oder der Herausbildung alternativer DDR-Milieus betrachten; man könnte fragen, weshalb die VL im Umbruch der ehemals realsozialistischen Länder als sozialistische Bürgerbewegung ein Unikat geblieben ist – sie hatte auch jenseits von Oder und Erzgebirge keine wirklichen Verbündeten, allenfalls ein paar politische Verwandte; man könnte ihr Wirken schließlich in den Zusammenhang jener Gesamtkrise der europäischen Linken stellen, die eng mit dem Niedergang des 1917 an die Macht gekommenen Sozialismus verknüpft ist und auch seine sozialistischen Gegner ereilt hat. Ich habe darauf ebenso verzichtet wie auf die Darstellung der Ur- und Frühgeschichte der VL, mit der sich Sebastian Gerhardt schon beschäftigt hat, auf eine eingehendere Betrachtung der «Böhlener Plattform», des Wahlprogramms vom März 1990 und überhaupt des Denkens in der VL, der Sicht auf Deutschland und das Nationale beispielsweise. Es hätte diese Arbeit überfrachtet.

8.

Hin und wieder komme ich auf der Alexanderstraße, gleich gegenüber vom Alex, am Bistro Cantino im einstigen «Haus der Elektroindustrie» vorbei. Jedes Mal denke ich dann daran, wie wir Anfang Oktober 2013 an einem kühlen, wolkenreichen Vormittag zu fünft oder sechst hier draußen gesessen haben: die Gruppe Berliner VLerinnen, die es übernommen hatte, die Auflösung der «Initiative für eine Vereinigte Linke» vorzubereiten. Es war ihr drittes und letztes Treffen; einen Verein zu beerdigen ist fast so schwierig, wie ihn aus der Taufe zu heben. Empfohlen hatte diese Auflösung schon vier Jahre zuvor, bei seiner letzten Zusammenkunft, das einzige noch arbeitsfähige Gremium der VL, der geschäftsführende Ausschuss, kurz GFA genannt. Selbst beschließen konnte der GFA so etwas nicht, er war nicht einmal berechtigt, die dafür erforderliche Mitgliederversammlung einzuberufen. Das Gremium, das dazu befugt war, gab es aber längst nicht mehr. Zwar war 1998 bei einer Mitgliederversammlung in Neurhodan ein vereinfachtes Statut beschlossen worden, das sicherlich auch die Auflösung erleichtert hätte, aber die Anmeldung beim Amtsgericht Charlottenburg wurde verschlampt.

Egal, es ließ sich alles klären, und am Morgen des 19. Oktober 2013 steckte ich mir zum letzten Male mein VL-Abzeichen an. Ich hatte längere Zeit nach ihm suchen müssen, und es sah etwas anders aus, als ich es in Erinnerung hatte. Gegen zehn Uhr trafen sich dann im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte (HdDM) gut zwei Dutzend Mitglieder, um die Auflösung der VL zu beschließen. Der seinerzeit anspruchsvollste Versuch, sozialistische Linke hierzulande neu zu organisieren, ging nun auch formell zu Ende. Noch einmal habe ich an jenem Tage das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Vertrautheit miteinander gespürt; gestritten wurde nur bei einem Punkt der Tagesordnung, über den wir uns schon in der Vorbereitungsgruppe nicht hatten einigen können: dem Umgang mit den Archivalien aus unserem Büro im HdDM. Ich hätte sie gern dem Archiv der Havemann-Gesellschaft überlassen, das solche Nachlässe sammelt und genauer erfasst. Doch waren wir mit ihrem Vorgehen bei bestimmten Gelegenheiten nicht einverstanden, also wurde mit viel Aufwand eine eigene Archivgruppe gegründet, die sich unserer Papiere annehmen sollte. Getan hat sich in den sieben Jahren darauf nichts, bis heute lagern sie unsortiert in Regalen im Untergeschoss des HdDM. Aber vielleicht ist das nicht so schlimm. Auch in unserem Fall lag der größte Glanz auf dem gemeinsamen Beginnen, und aus jener Zeit ist vieles veröffentlicht. Nicht auffindbar waren die Protokolle der ersten drei DDR-Delegiertenversammlungen, die das Statut, das Wahlprogramm und die Kandidaturen für den 18. März beschlossen hatten.

Es mag sein, dass die Schwierigkeiten, mit denen die VL zu kämpfen hatte, damit zu tun hatten, dass die Verhältnisse für einen neuen Sozialismus noch nicht reif waren. Aber wenn sie es damals nicht waren, wann sind sie es denn überhaupt? Hatte ein freiheitlicher und demokratischer Sozialismus überhaupt je eine eine Chance gehabt? Soll man auf Katastrophen hoffen? Eindeutig auf Sozialistisches verweisen die Widersprüche bürgerlicher Verhältnisse wahrscheinlich nie. In dem Zusammenhang wäre es gut zu wissen, ob Gruppen in der Art der VL oder zumindest einige ihrer Grundsätze und Erfahrungen für die heutige Praxis sozialistischer Bewegungen noch von Nutzen sein können. Sie nutzbar werden zu lassen ist ja der Zweck dieser Arbeit, doch kann ich hier nur Angebote machen; was davon brauchbar ist, müssen die entscheiden, die selber kämpfen. Vielleicht zeigen es die Arbeitsergebnisse der Interventionistischen Linken, der uns wohl nächstverwandten derzeit aktiven Organisation. Auf alle Fälle scheint mir jene sozialistische Orientierung, für die sich die VL bei ihrer Gründung eingesetzt hat, auch unter den jetzigen Bedingungen sinnvoll zu sein, mehr noch: unbedingt erforderlich. Denn eine Ordnung, deren hauptsächliche Triebfeder die Konkurrenz ist, und zwar eine profitgetriebene Konkurrenz, kann keine wirklich menschliche Ordnung sein. Ich frage mich aber, wie man als Teil einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder so zurichtet wie diese hier, überhaupt zu einer solchen Sicht kommen könnte.

Für Unterstützung beim Schreiben dieser Arbeit danke ich Bernd Gehrke, Thomas Klein und insbesondere Sebastian Gerhardt (alle drei ehemals VL Berlin).


Anmerkungen

Abschnitt 1

1 Böhlener Plattform: in Die Aktion, Heft 60–63: Die DDR als sozialistische Alternative – Dokumente der Initiative «Vereinigte Linke», Hamburg, Januar 1990. S. 936 – 942.

2 insgesamt nur fünf: So zuletzt noch einmal Bernd Gehrke in Gehrke (3).

3 auf marxistischer Grundlage: siehe Die Aktion, a.a.O., S. 939.

4 Polizeistaat (Arnold Ruge): Ruge, Arnold: Anekdota zur neuesten deutschen Philosophie und Publicistik, Erster Band, Zürich/Winterthur 1843, S. 103. Ruge, 1803 bis 1880, war Demokrat, später Bismarckianer.

5 nie wirklich beigelegten Streit: Zunächst einmal ging es dabei um den Organisationsaufbau; die Ziele lagen zwischen den Polen Netz von Basisinitiativen und revolutionäre Kampfpartei. Hinter diesen Auffassungen stand das Problem der Interessenvertretung, ihrer Zulässigkeit. Debattiert wurde darüber so lange, wie in der VL überhaupt Grundsatzfragen besprochen wurden; noch beim 3. Arbeitstreffen März 1991 in Leipzig hat die Problematik, wie ich hörte, eine beträchtliche Rolle gespielt.

6 wegen ihres angeblich fehlerhaften Kurses: siehe dazu: Bund Sozialistischer Arbeiter: Das Ende der DDR. Eine politische Autopsie, o.O. 1992

7 FDJ-Seminare zur sowjetischen Wirtschaftsgeschichte: wurden 1978/79 vor allem von Th. organisiert.

8 Ibrahim Böhme hatte nie Zeit: Weshalb man sich von der Anwesenheit dieses Mannes so viel versprochen hat, ist mir nie verständlich geworden.

9 absorbiert: Bekanntlich werden die Massen ja, je mehr die Revolution heranrückt, immer mutiger. Hier hingegen wurden sie angeblich vorsichtiger – ein erstaunliches Phänomen.

10 Ein Schlag in die Magengrube sei das gewesen: siehe dazu Weinholz (3). Ich hatte dort irrtümlicherweise geschrieben, der Vorgang sei als solch ein Schlag empfunden worden, tatsächlich hieß es, wie ich später merkte: Er war ein Schlag in die Magengrube. Also noch eine Nummer schlimmer.

11 Gründungsaufruf: Dieser Gründungsaufruf war ein Aufruf zur ergebnisoffenen Debatte, und gerade davon fühlten sich viele angesprochen. Auch in der Böhlener Plattform war von Diskussionen die Rede, aber die Grundrichtung war vorgegeben, und das zog eben nur wenige an. Die Hoffnung, mit der Böhlener Plattform, wäre sie früher veröffentlicht worden, einen ähnlichen Erfolg erzielen zu können wie dieser Gründungsaufruf, wurde im übrigen von niemandem, mit dem ich jetzt darüber gesprochen habe, geteilt.

12 Folge des Mauerfalls: Zu dem ganzen Komplex s. Weinholz, Erhard: Mauern für eine bessere Welt, in: Das Blättchen (Internetausgabe), Nr. 16/2020.

Abschnitt 2

13 Die Teilnehmer des Treffens: Böhlener Plattform, in Die Aktion, a.a.O., S. 936.

14 gemeinsam mit H.: Zu seiner Person vgl. Tod eines Berufsrevolutionärs, in: neues deutschland vom 19.1.2017.

15 Mitglieder der Interventionistischen Linken: auf der Webseite http://blog.interventionistische-linke.org/linke-geschichte/die-erfahrung (Juli 2019).

16 Personaldecke äußerst dünn: Fast alle VL-Mitglieder waren in Betrieben oder Einrichtungen fest angestellt und gaben diese Arbeit nicht für eine kurzzeitige Anstellung bei der VL auf.

17 als parlamentarischer Geschäftsführer: Keine Revolution ohne Hochstapler, Abenteurer und dergleichen, aber sie bildeten in der VL eine winzige Minderheit.

18 durch glücklichen Zufall: Für ein Mandat waren 0,25 Prozent der Wählerstimmen erforderlich. Nachdem auf dieser Basis die Mandate entsprechend der Stimmenzahl verteilt worden waren, blieb ein Sitz übrig, der an die nächstkleinere Gruppierung ging, und das war die VL. Zudem war die christlich-fundamentalistische Christliche Liga nur in drei der fünfzehn Bezirken angetreten – und hatte schon dort etwa 10.700 Stimmen bekommen.

19 Plan „Deutschland einig Vaterland“: Am 28. Januar 1990 war die zweite Regierung Modrow gebildet worden, in der neben anderen neuen Organisationen auch die VL mit einem Minister ohne Geschäftsbereich vertreten war. Am 1. Februar veröffentlichte Modrow seinen Plan «Deutschland einig Vaterland». Daraufhin verließ die VL am 2. Februar die neue Regierung, noch ehe diese die Arbeit aufgenommen hatte. Beschlossen hatte beides der Politische Beirat der VL Berlin, der dazu aber meines Wissens nicht berechtigt war.

20 Wochenblatt „Die Kirche“: Die Kirche Nr. 22/1989.

21 Rückkehr zur Länderstruktur: Die VL war die erste Organisation, die im Herbst 1989 diese Rückkehr gefordert hatte.

Abschnitt 3

22 er ermögliche es: in Wir brauchen einen Volkskongreß!, in: Die Aktion 60–63/1990, S. 986–989.

23 Wir müssen: Wir müssen unsere Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen, in: ebd., S. 945–947, der Aufruf stammt aber vermutlich nicht vom 5. Oktober, sondern vom 5. November 1989.

24 Erklärung von Teilnehmern: Erklärung von Teilnehmern am Böhlener Treffen, in: ebd., S. 947–954.

25 neue Organe des Volkswillens: Wir brauchen einen Volkskongreß! (wie oben), S. 987.

26 Noch vor den Wahlen: Gesammelte Flugschriften DDR ’90. Originaldokumente der DDR-Opposition, Initiative Vereinigte Linke, hrsg. vom AStA der TU Berlin (West), Berlin o.J. [ca. Februar 1990], S. 6.

27 Dass der Volkswille: Weinholz, Erhard: Das Unmögliche wagen – VL! Einige Überlegungen zu unserer Geschichte, in: Vau Ell Infoblatt 16/1991, S. 27–31.

28 Tatsächlich war die Mehrheit derer: Zimmerling, Zeno/Zimmerling, Sabine: Neue Chronik DDR, 3. Folge: 24. November – 22. Dezember 1989, Berlin 1990, S. 99. Für eine souveräne DDR votierten 73 Prozent, nur 27 Prozent für die deutsche Einheit.

29 Die Einheit, so liest man bei ihm: «Für Einheit und Klarheit»: in: VAU ELL Infoblatt 6/1990, S. 12–14, Zitat: S. 13. H.s Name erscheint in dem Zusammenhang nicht, seine Urheberschaft war aber bekannt.

Abschnitt 4

30 Die Sozialdemokraten hatten aber: Davon war B., als er die Verhandlungen führte, meines Wissens auch ausgegangen, es ist aber in der Diskussion an jenem Abend, wenn ich mich recht entsinne, nicht deutlich geworden.

31 in Panik versetzte: Vgl. Wetzel, Dietrich/Schnappertz, Jürgen: Bericht an die Bundestagsfraktion DIE GRÜNEN über Anforderungen an das in West-Berlin neu eingerichtete Unterstützungsbüro für DDR-Gruppen, Bonn 12.2.1990. Wetzel war damals Grünen-MdB, Schnappertz Fraktionsmitarbeiter.

32 Kern einer neuen Wirtschaftspolitik: Vorläufiges Programm der Vereinigten Linken zu den Volkskammerwahlen am 18. März 1990, in: ebd., S. 5; ein endgültiges Programm scheint es nicht gegeben zu haben.

33 dass wir außerstande waren: siehe Klein, Thomas: Rasch isoliert. Die linke Bürgerbewegung 1989, in: neues deutschland vom 3./4.11.2014.

34 die gleiche Stimmenzahl: H.S.: Bericht Landesdelegiertenkonferenz zur Wahlentscheidung, Berlin, 1.9.1990, in: Vau Ell Infoblatt 5/1990, unpag.

Abschnitt 5

35 Kernsatz seiner Rede: Vgl. VAU ELL Infoblatt 6/1990, S. 2–4; die Rede wurde am 13. September 1990 gehalten.

36 Rückzug der Autonomen: Es gab in der VL Berlin die 11. und die 13. autonome Gruppe. Wer hinter diesen Namen stand, weiß ich nicht; verabschiedet haben werden sie sich wohl im Frühjahr 1990, denn Erklärungen von ihnen sind nur bis Februar überliefert. Vermutlich war es ein stillschweigendes Verschwinden, denn bemerkt habe ich es nicht.

Abschnitt 6

37 später dokumentiert worden ist: Gehrke, Bernd/Hürtgen, Renate (Hrsg.): Der betriebliche Aufbruch im Herbst 1989. Die unbekannte Seite der DDR-Revolution. Diskussion – Analysen – Dokumente. 2., korr. Aufl., Berlin 2001, insbes. S. 106 ff. u. S. 513 ff.

38 illusionär: siehe dazu Weinholz (3).

39 Als Teil von Bündnis 90: In einem Gespräch mit G. (VL Berlin) vom März 1991 bedauerte ich das Scheitern der Bündnisverhandlungen, da es zur Isolation der VL beigetragen habe; G. meinte darauf, wir hätten so die Möglichkeit der Selbstfindung gehabt. Ich stimmte ihm zu, fand aber, dass die Selbstfindung durch ein Wahlprogramm uns zu viel Kraft abverlangt hat.

Abschnitt 7

40 an die Grenzen ihrer Grundsätze kam: siehe vorletzte Fußnote im Abschnitt 2.


Anhang

I. Quellen

Konferenzreader 1. DDR-weites Arbeitstreffen der Initiative Vereinigte Linke 25./26. November 1989, Berlin, Dezember 1989.

Die Aktion, Heft 60–63: Die DDR als sozialistische Alternative – Dokumente der Initiative «Vereinigte Linke», Hamburg, Januar 1990.

Gesammelte Flugschriften DDR ’90. Originaldokumente der DDR-Opposition Initiative Vereinigte Linke, hrsg. vom AStA der TU Berlin (West), Berlin o.J. (ca. Februar 1990).

Vorläufiges Programm der Vereinigten Linken zu den Volkskammerwahlen am 18. März 1990. Berlin, o.J. /1990/

Reader in Vorbereitung des 2. Arbeitstreffens der VL in Dresden (15.– 17. 6. 1990).

Webseite www.ddr89.de

II. Literatur

Wielgohs, Jan: Die Vereinigte Linke; in: Müller-Enbergs, Helmut/Schulz, Marianne/Wielgohs, Jan (Hrsg.): Von der Illegalität ins Parlament. Werdegang und Konzepte der neuen Bürgerbewegungen, Berlin 1991, S. 283–306.

Musch, Reinfried: Vereinigte Linke – zwischen Experiment und Organisation, in: Vau Ell Infoblatt 11/1991, S. 7–17.

Weinholz, Erhard (1): Das Unmögliche wagen – VL! Einige Überlegungen zu unserer Geschichte, in: Vau Ell Infoblatt 16/1991, S. 27–31.

Klein, Thomas (1): Linke Opposition in der DDR und ihr Agieren in der Wende – kurze Bilanz einiger Irrtümer und kleiner Ausblick auf mögliche Lehren, in: Gegen die Verdrängung im eigenen Kopf. Ein heiteres Schlachten alter Tabus anlässlich des 5. Jahrestages der Großen Nichtsozialistischen Oktoberrevolution (Wende), Reader zur Oppositionskonferenz vom 5.11.94 im Haus der Demokratie, Berlin, hrsg. vom Matthias-Domaschk-Archiv in der Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., Berlin 1994, S. 21–25.

Gehrke, Bernd (1): Dogmen der Undogmatischen, in: telegraph 11–12/1995, S. 53–60.

Gehrke, Bernd (2): 1989 und keine Alternative?, in: ders.,/Rüddenklau, Wolfgang (Hrsg.): … das war doch nicht unsere Alternative. DDR-Oppositionelle zehn Jahre nach der Wende, Münster 1999, S. 417–440.

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Gerhardt, Sebastian: Vom Kampf gegen die Politbürokratie zur Verteidigung der DDR. Unabhängige Linke im Kurzen Herbst der Utopie 1989/90, in: Bois, Marcel/Hüttner, Bernd (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte einer pluralen Linken. Theorien und Bewegungen nach 1968, Papers Nr. 2, hrsg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin o.J.

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Weinholz, Erhard (2): Mutprobe. Die VL und der 18. März 1990, in: Das Blättchen, 5/2015 (Internetausgabe).

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Gehrke, Bernd (3): Der Herbst ’89 in der DDR. Gespräch, in: SoZ 1/2020 (Internetausgabe).

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Weinholz, Erhard (3): Späte Kämpfe. Zu einem Rückblick auf die VL und die 89er DDR-Revolution /Antwort auf Gehrke (3) – E. W./, in: SoZ 3/2020 (Internetausgabe).

In der Hoffnung auf ein besseres Land. Sebastian Gerhardt und Erhard Weinholz im Gespräch über die Initiative für eine vereinigte Linke (VL), in: ebenda 7/2020.

Krampitz, Karsten: Utopische Spätstarter. Die Vereinigte Linke in der DDR und ihr Scheitern im Herbst 1989. ND 14./15. November 2020 /Rezension/

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