Mit seiner Botschaft auf der Fraktionsklausur der Berliner LINKEN schaffte es der vormalige Wirtschaftssenator und Bundesschatzmeister der Partei gleich in die Zeitung: Die Enteignung der Deutschen Wohnen ist machbar! Nicht nur stabile Mieten für Mieterinnen und Mieter, sondern darüber hinaus sogar ein jährlicher Überschuss 100 Millionen sind drin! Leider hat Harald Wolf nicht gut gerechnet.
Die Berechnung
In seiner Präsentation „Vergesellschaftung von Immobilien – notwendig, rechtlich zulässig und finanziell machbar“ gab Harald Wolf einen Überblick zur Finanzialisierung des Wohnungswesens. Davon ausgehend kritisierte er die überhöhten Bewertungsansätze der Deutschen Wohnen. 2014 akzeptierte das Unternehmen noch einen „Fair Value“ der Berliner Immobilien beim 16-fachen der Vertragsmieten. 2018 hat es das 29,9-fache angesetzt. Mit den Ansatz des Jahres 2014 erhält Harald Wolf eine Entschädigungssumme von 10,823 Milliarden EUR.
Wenn es zu einem Enteignungsgesetz kommen sollte, werden über alle solche Festlegungen Gerichte entscheiden. Für diesen Text gehen wir ebenfalls von dieser Summe aus, der Vergleichbarkeit halber.
Von den 10,823 Milliarden zieht Wolf die Nettoverbindlichkeiten der Berliner Bestände ab, die bei der Vergesellschaftung vom neuen öffentlichen Betreiber übernommen werden. Er schätzt sie auf 74 Prozent der entsprechenden Verbindlichkeiten des Konzerns (8, 75 Milliarden EUR, Finanzbericht, S. 52), 6,474 Milliarden EUR. Damit seien jährliche Zinszahlungen von 76,5 Millionen EUR verbunden (durchschnittlicher Zinssatz 1,18 Prozent).
Es verbleibt ein Betrag von 4,349 Milliarden EUR. Diese sind als Entschädigung von der öffentlichen Hand zu zahlen und bilden das Eigenkapital der neuen Gesellschaft. Wolf geht davon aus, dass diese Mittel über ein Annuitätendarlehen aufgebracht werden. Bei einer Tilgung über – recht kurz bemessene – 18 Jahre schlagen sie mit einer Annuität von 261 Millionen EUR jährlich zu Buche (impliziter Zinssatz etwa 0,8 Prozent). Offenbar soll dieses Geld vom neuen Wohnungsunternehmen an das Land gezahlt werden, das dann damit die Bedienung der Annuitätendarlehens deckt.
Zusammen ergibt sich für ihn eine Finanzierungslast von 337,5 Millionen EUR pro Jahr. Das Operative Ergebnis aus den Berliner Wohnungsbeständen der DW schätzt er auf 74 Prozent des wohnungswirtschaftlichen Gesamtergebnisses der DW von 604 Millionen (Finanzbericht, S. 45 ), also auf 446 Millionen EUR. Harald Wolf kommt zu dem frohen Ergebnis, dass ein Überschuss von 108,5 Millionen EUR verbleibt.
Kreditfragen sind Eigentumsfragen
Soweit das Modell, jetzt zum entscheidenden Fehler. Beim Ausrechnen der Entschädigungssumme wird die bestehende Fremdverschuldung in vollem Umfang berücksichtigt. Für die Zukunft aber werden auf diese Kredite nur Zinsen, doch keine Tilgung eingerechnet. Das übernommene Fremdkapital von 6,474 Milliarden „kostet“ daher pro Jahr bloß 76,5 Millionen, während die Bedienung des Annuitätendarlehens von 4,349 Milliarden mit 261 Millionen pro Jahr zu Buche schlägt. Die Gläubiger der DW werden schwerlich auf Rückzahlungen verzichten, nur weil sie jetzt ein öffentliches Unternehmen als Schuldner haben. Gläubiger sind Eigentümer. Eigentümer verzichten nicht gerne.
Die Berechnung des Kollegen Harald Wolf geht davon aus, dass die Altschulden nicht aus eigenen Mitteln getilgt werden müssen. Also entweder von einer sehr weitgehenden Enteignung der heutigen Kreditgeber der DW. Das wird nicht klappen. Das Volksbegehrens versucht sich schon seit einem Jahr auf vielen Wegen an der Quadratur des Kreises: Das Privateigentum muss geachtet werden, aber die Enteignung soll nicht viel kosten. Die Frage der Altschulden haben sie bisher nur ignoriert, aber nicht zur Enteignung der Gläubiger aufgerufen.
Oder der unwahrscheinliche Fall tritt ein, dass bei Fälligkeit der Altschulden dem neuen Unternehmen stets neues Geld zu den alten Bedingungen zur Verfügung stehen würde. Das heißt, dass nach einer Übernahme durch die öffentliche Hand und einer massiven Absenkung der Buchwerte das DW-Modell einer geräuschlosen Umschuldung der Altverbindlichkeiten zu geringen Zinsen fortgesetzt werden könnte. Eine Fortsetzung des Kurses „Wir haben das Sagen, andere bezahlen.“ (Michael Breitkopf, 17.05.15, Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen/GSW Marktmacht in Berlin und Verdrängungsrisiko für Bestandsmieter, S. 5).
Risiken der Umschuldung
Aber ob und zu welchen Bedingungen Unternehmen – oder Staaten – neue Kredite erhalten, um die alten abzulösen, das entscheidet sich auf den Finanzmärkten. An dieser Stelle, beim „roll over“ der alten Kreditbestände, greift die aktuelle Situation an den Finanzmärkten immer wieder in die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums ein, beeinflusst der Vergleich der Rentabilitäten und Risiken den Fluss der Kapitalströme in verschiedene Firmen und Sektoren.
Für ein öffentliches Unternehmen gelten weder die gleichen bilanziellen Spielräume wie für die DW, noch wird die Herabsetzung des Anlagevermögens im Zuge der „Vergesellschaftung“ – also die Verminderung der Sicherheiten! – unbemerkt bleiben. Allein die Buchwerte im Core+-Bereich in Berlin beziffert die DW auf 16,4 Milliarden. Bei einer Reduzierung auf 10,8 Milliarden verschwinden also mindestens Sicherheiten von 5,6 Milliarden aus der Bilanz. Eine Teilenteignung der DW-Aktionäre werden andere Kapitalisten auch kaum mit der pünktlichen Austeilung billiger Kredite an das neue Unternehmen belohnen. (Die Idee der Kollegen von Syriza, dass die Finanzierung des griechischen Staates eine ausgemachte Sache wäre, ist im Jahr 2015 brutal widerlegt worden.)
Von daher gibt es zur normalen Investitionsfinanzierung mit Zins + Tilgung keine Alternative. Wenn wir zur Tilgung dieser Kredite ebenfalls nur 18 Jahre annehmen und vom zitierten derzeitigen Durchschnittszinssatz ausgehen, dann ergibt sich allein hieraus eine weitere Annuität von etwa 400 Millionen EUR jährlich – da bliebe kein Plus mehr, sondern nur ein dickes Minus. Eine Streckung der Rückzahlung über 18 Jahre hinaus würde die jährlichen Finanzierungslasten und die nötige Miethöhe verringern. Am Grundproblem ändert sich jedoch nichts: Es würden bei der sogenannten „Vergesellschaftung“ der gewinnorientierten Wohnungsunternehmen selbst bei deutlichen Abweichungen vom Marktwert Milliarden ausgegeben werden, die bei der Finanzierung des dringend nötigen Neubaus fehlen. Ohne besonderes Entgegenkommen der Kreditgeber bei Zins und Tilgung wäre dem neuen Unternehmen noch nicht einmal die Bewirtschaftung nach den Maßstäben der derzeitigen Landeswohnungsunternehmen möglich.
Populismus und die fünfte Grundrechenart
Die öffentliche Diskussion zu Risiken und Nebenwirkungen des Volksbegehrens zur Enteignung ist eine schwierige Sache. Auf eine knappe Kritik von Philipp Mattern und mir im ak reagierten Ralf Hoffrogge und Stephan Junker mit dem ultimativen Argument:
Mattern und Gerhardt spielen mit ihren fragwürdigen Behauptungen also das Spiel des Gegners, der Enteignung unmöglich scheinen lassen will.
Es geht aber nicht um ein Spiel, es geht um Fakten. Was in ihrer Verweigerung der sachlichen Diskussion Wiederauferstehung feiert, ist der eingebildete Triumph des guten Willens über die böse Realität. Christoph Hein hat die Methode diesen Denkens im Herbst ’89 präzise gekennzeichnet:
Die fünfte Grundrechenart besteht darin, daß zuerst der Schlußstrich gezogen und das erforderliche und gewünschte Ergebnis darunter geschrieben wird. Das gibt dann einen festen Halt für die waghalsigen Operationen, die anschließend und über dem Schlußstrich erfolgen. (https://www.zeit.de/1989/41/die-fuenfte-grundrechenart)
Und er war nicht der Erste. Lange vor ihm warnte ein sehr disziplinierter Kommunist seine Genossen vor solcherart Parteilichkeit:
Es gibt keine ‚linke‘ oder ‚rechte‘ Analyse; es gibt keine ‚opportunistische‘ oder ‚revolutionäre‘ Perspektive. Es gibt nur ‚richtige‘ oder ‚unrichtige‘ Analysen; eine richtige oder eine unrichtige Perspektive.(Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im I. Vierteljahr 1925, Internationale Pressekonferenz 5. Jg. 1925, Nr. 77, S. 1017)
Besonders erfolgreich war Eugen Varga mit dieser Mahnung leider nicht. Denn die romantische Ignoranz gegenüber den Fakten hatte und hat einen politischen Inhalt: den eigenen Führungsanspruch. Sie ist zwar nicht realitäts-, aber doch machtbewusst. Das ist Populismus.
Und Harald Wolf? Der vormalige Wirtschaftssenator Berlins weiß selbstverständlich, dass die Bedienung und Umschuldung übernommener Kredite keine leichte Sache ist. Trotzdem hat er es vorgezogen, die Voraussetzungen und Risiken seiner „groben Berechnung“ nicht mit der Fraktion zu diskutieren. Eine sozial verankerte Linke wird aber weder mit populistischen Parolen noch technokratischen oder wahltaktischen Kompromissen zu erreichen sein.