Neujahrsgruß: Kein Geld

Heute, am 28. Dezember 2013, wird für viele Langzeitarbeitslose in den USA zum letzten Mal Geld überwiesen. Danach ist Schluß. Denn der USA-Kongreß konnte sich nicht entschließen, die Verlängerung der Erwerbslosenunterstützung von 26 auf bis zu 99 Wochen zu verlängern. 1,3 Millionen Erwerbslose und ihre Familien verlieren damit ihren letzten Unterhalt. Danach gibt es noch Foods Stamps – Lebensmittelunterstützung. Aber Raten für eine Hypothek oder Miete für die Wohnung können damit nicht bezahlt werden. Pünktlich zum neuen Jahr werden im reichsten Land der Erde Millionen tiefer in die Armut gestürzt.

Als Anfang Dezember die letzten Texte für die neue Lunapark21 abzugeben waren, schrieb ich: „Etwa 1,3 Millionen werden ihren einzigen Unterhalt verlieren, wenn nicht doch noch der US-Kongress sich eines anderen besinnt. Der jedoch ist hinter verschlossenen Türen mit anderem beschäftigt.“ Das Ergebnis war schon absehbar. Warum und wieso? Das verhandelt der Artikel [pdf hier]unter dem Titel:

Hinter verschlossenen Türen
Die US-Eliten streiten über ihren Staat

Mitte Dezember sollen Senat und Repräsentantenhaus eine Lösung für den Haushaltsstreit vorlegen. Es ist der vierte Anlauf – nach dem Sommer 2011, dem Jahreswechsel 2012/13 und der ganz großen Oper im Oktober diesen Jahres. Aber die Chancen auf eine Einigung zwischen Demokraten und Republikanern stehen nicht schlecht. Denn die Tea Party ist mit dem Versuch einer offenen Instrumentalisierung der Haushaltsfragen zur Verhinderung der Gesundheitsreform (Affordable Care Act, ACA) krachend gescheitert. Als die Kreditwürdigkeit der USA in Zweifel gezogen wurde, spalteten ihre Finanziers die Republikaner und sicherten so den ordentlichen Fortgang ihrer Geschäfte. Mit dem Geld des Big Business wird nicht gespielt.[1] Nach dieser Pleite wird es den Republikanern schwer fallen, bis zu den Wahlen am 4. November 2014 ihre Reihen wieder zu schließen. Es gibt auf beiden Seiten großes Interesse an einem Kompromiss.

Gegenleistung erwartet

Wer die Zeche zahlen soll, ist nicht zweifelhaft. Denn der Verlauf der Krise zeigte auch, dass das Big Business in der Lage ist, seine Interessen in Washington sehr effektiv zu vertreten – anders als Millionen US-Amerikaner, die von der Krise und den Sozialkürzungen bereits betroffen sind. Während im Kongress verhandelt wurde, gab es draußen auf der Straße praktisch keinen Protest. Die Eliten konnten Krise wie Lösung unter sich ausmachen. Und die US-Handelskammer hatte ihre Abwendung von der Tea Party damit begründet, dass die wirtschaftsliberalen Zielsetzungen der Republikaner leider zugunsten ideologischer Zwistigkeiten vernachlässigt werden. Im Haushaltsstreit hat das Big Business die Gesundheitsreform zähneknirschend akzeptiert. Doch nun wird es eine Kompensation fordern. Von Steuererhöhungen zur Verminderung des Defizits redet selbst Obama nicht mehr.

Wohl haben die Wahlergebnisse des Herbstes 2013 gezeigt, dass die Niederlagen der Republikaner mit einer neuen Offenheit der Wählerschaft für sozialstaatliche, zuweilen sogar linke Positionen einhergehen. In New York wurde mit Bill de Blasio ein Demokrat mit überwältigender Mehrheit zum Bürgermeister gewählt, der zum Zwecke des Wahlkampfes sogar Harry Belafonte einen Besuch abstattete. In Boston gewann der Gewerkschafter Martin Walsh die Bürgermeisterwahlen. In New Jersey präsentierte sich der republikanische Gouverneur als „moderat“ und konnte so seinen Job behalten. Seine Wähler stimmten zugleich mehrheitlich für ein Gesetz zur Erhöhung des Mindestlohnes auf 8,25 Dollar pro Stunde und künftige automatische Anpassungen an die Preissteigerung. Und in Seattle, am anderen Ende des Kontinents, gewann mit Kshama Sawant eine Sozialistin einen der neun Sitze im Rat der Stadt. Sawant, die in der Socialist Alternative organisiert ist, baute ihre Kampagne um Forderungen nach einem höheren Mindestlohn von 15 Dollar und einen Mietenstopp auf und tritt offen für ihre sozialistischen Überzeugungen ein.

Bescheidene Reform

Für einen politische Umschwung auf nationaler Ebene wird das nicht reichen. Kaum etwas charakterisiert das soziale Kräfteverhältnis in den USA deutlicher, als der Inhalt der so heftig angefeindeten Gesundheitsreform: Zum ersten sollen Geringverdiener – bis zu 133 Prozent der Armutsgrenze – in die staatlichen Versorgung Medicaid aufgenommen werden. (Die Armutsgrenze liegt zur Zeit bei 11.344 Dollar pro Jahr für eine Einzelperson, etwa 47.000 Dollar für einen vierköpfigen Haushalt.) Zweitens sollen Haushalte mit einem Einkommen bis zum vierfachen der Armutsgrenze Zuschüsse zu ihren Beiträgen für eine Krankenversicherung und weitere öffentliche Garantien (Transparenz, Rechtsschutz beim Abschluß) erhalten. Drittens müssen Versicherungen einen gewissen Standard ohne weitere Zuzahlungen garantieren und sollen keine Möglichkeiten mehr haben, Bewerber aufgrund besonderer Risiken abzulehnen. Schließlich wird die Familienversicherung für Kinder ausgedehnt.

Sozialismus ist das nicht. Selbst nach Umsetzung aller dieser Pläne sind die USA von einer allgemeinen Gesundheitsversicherung weit entfernt. Studien gehen davon aus, daß unter dem ACA etwa 28 Millionen US-Amerikaner erstmals Zugang zu einer Krankenversicherung erhalten werden. Das ist viel, jedoch hatten nach Angaben des Census Bureau 2012 knapp 48 Millionen US-Amerikaner keine Krankenversicherung, davon 40 Millionen im Alter zwischen 18 und 65. Nach Umfragen der privaten Kaiser Family Foundation hatten 2012 sogar 47 Millionen erwachsene US-Amerikaner unter 64 keine Krankenversicherung. In 63 Prozent der betroffenen Haushalte gibt es mindestens eine/n Vollzeitbeschäftigte/n, in weiteren 16 Prozent der Haushalte hat mindestens eine/r eine Teilzeitjob. Doch viele Selbstständige und Beschäftigte in kleinen Firmen können sich eine Versicherung nicht leisten. Und selbst bei Zahlung eines Arbeitgeberanteils reicht es nicht immer für die ganze Familie. Arbeitslose schließlich haben kaum eine Chance auf eine Krankenversicherung.

Eine Krankenversicherung ist in den USA aber besonders wichtig, weil die Gesundheitsversorgung besonders teuer ist: Von wegen, der Markt senke die Preise. Wie sollte das auch funktionieren, wenn die Kranken keine Wahl haben, als die nötigen Medikamente und Behandlungen in Anspruch zu nehmen – und Versicherungen nicht gestattet ist, Verträge auszuhandeln. So kommt es, dass ein Asthma- Inhalator, der in London für 20 Dollar zu haben ist, in den USA 175 Dollar kostet. Insgesamt entfallen in den USA 16 Prozent des BIP auf das Gesundheitswesen (= etwa 2,7 Billionen Dollar). Aber den hohen Kosten stehen für viele keine angemessenen Leistungen gegenüber.

Die Obamasche Gesundheitsreform wird daran nicht viel ändern. Die Gesundheitsindustrie hat alle wesentliche Einschränkungen ihrer Marktmacht durch die Reform verhindern können. Mindestens 12 Millionen Erwachsene werden auch nach der Reform ohne Versicherungsschutz sein. In aktiven Teilen der Gewerkschaften traf sie daher auf heftige Kritik. Trotzdem kann die „middle class“, insbesondere die weiße Arbeiterklasse, mit der Ausweitung der Krankenversicherungen etwas mehr soziale Sicherheit gewinnen. Und damit geht es um eine Machtfrage: Werden die US-Amerikaner weiterhin auf Gedeih und Verderb ihr Leben nach den Erfordernissen des Marktes ausrichten müssen? Oder gibt es eine gewisse, öffentlich garantierte Absicherung im Falle einiger existenzieller Risiken?

Businessplan? Erpressung!

Große Teile des US-Kapitals haben ihr Geschäftsmodell auf die rigorose Kontrolle und Spaltung ihrer Belegschaften aufgebaut. Nur etwa 10 Prozent der Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert. Entlang verschiedener Trennungslinien – nach Herkunft und Sprache, nach Geschlecht und Qualifikation – werden die Beschäftigten auseinander sortiert und gegeneinander ausgespielt. Eine Grundlage dafür ist die weitgehende Abwesenheit von Sozialleistungen, die außerhalb von Versicherungssystemen immer nur für Gruppen ganz besonders Bedürftiger gewährt werden. Die Bereitschaft, einen Konflikt mit dem Boss einzugehen, sinkt, wenn man mit dem Job auch gleich die Krankenversicherung für die ganze Familie riskiert.

Auch die staatlich organisierte Arbeitslosenversicherung wird nur unter bestimmten Bedingungen ausgezahlt, die auf keinen Fall die Aufnahme eines neuen Jobs behindern sollen. 2008 sahen jedoch auch Republikaner ein, dass mit maximal 26 Wochen Erwerbslosenunterstützung diese Krise nicht zu überstehen war. Bis zu 99 Wochen konnte die Zahlung von Beihilfen verlängert werden. Dann war in jedem Fall Schluss. Die nächste Station heißt Suppenküche und „food stamps“. Viel früher verliert sein Anrecht, wer etwa aufgrund von Obdachlosigkeit keine feste Adresse mehr vorweisen konnte.

Doch die Verlängerung der Arbeitslosenunterstützung läuft zum 1. Januar 2014 aus. Inzwischen ist die offizielle Arbeitslosenquote auf 7 Prozent gesunken, doch alle wissen, dass sich dahinter auch ein unfreiwilliger, millionenfacher Rückzug vom Arbeitsmarkt verbirgt. Und die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat massiv zugenommen: 4,1 Millionen sind mehr als 6 Monate ohne Job. Etwa 1,3 Millionen werden ihren einzigen Unterhalt verlieren, wenn nicht doch noch der US-Kongress sich eines anderen besinnt. Der jedoch ist hinter verschlossenen Türen mit anderem beschäftigt.


[1] Ausführlich mit Quellen: http://planwirtschaft.wordpress.com/2013/10/18/besen-besen-seis-gewesen/

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