Besen, Besen, sei’s gewesen

Ihre Geldgeber haben die Tea Party in die Schranken gewiesen

Die Pleite der Republikaner im US-Repräsentantenhaus im Haushaltsstreit ist so vollständig, wie eine parlamentarische Niederlage nur sein kann. Kurz bevor am 17. Oktober die Frist ablief, in der das US- Finanzministerium die Zahlungsfähigkeit der USA ohne Aufnahme neuer Schulden garantieren konnte, mußten sie kapitulieren. Auch wenn die Lösung klar terminiert ist und in den nächsten Monaten die nächste Runde des Konfliktes ausgetragen wird – nach dieser Pleite wird es den Republikanern schwer fallen, bis zu den Wahlen am 4. November 2014 ihre Reihen wieder zu schließen. Darüber muß man nicht traurig sein.

Allerdings macht das Ende des Haushaltsstreits auch deutlich, wie in Washington Entscheidungen fallen und wer dabei eine Stimme hat. Die Austeritätspolitik ist nicht vorbei. An kaum einer Stelle spielte in der öffentlichen Debatte eine Rolle, daß die ersten Opfer des Haushaltsstreits die Armen in den USA waren, deren Zugang zu existenziellen Sozialleistungen eingeschränkt oder ganz gestrichen wurde. Außerhalb von Versicherungssystemen gibt es in den USA Sozialleistungen immer nur für Gruppen besonders Bedürftiger – einen Anspruch auf diese Leistungen gibt es vielfach nicht. Die Verteilung von Lebensmitteln an Bedürftige oder das „Essen auf Rädern“ sind eine Form staatlicher Wohltätigkeit, auf die die Betroffenen kein Anrecht haben. Genauso wie es kein Anrecht auf einen Platz im Frauenhaus oder in einem Programm für Drogenabhängige gibt. In der Berichterstattung bekamen die geschlossenen Nationalparks überall Platz in, da gibt es ja auch schöne Bilder. Was soll man dagegen zeigen, wenn ein Bildungsprogramm für Vorschulkinder aus armen Familien gestoppt wird? Mitte September hat die offizielle US-Statistik einen Überblick über Einkommen, Armut und den – vielfach fehlenden – Krankenversicherungsschutz veröffentlicht: Die großen Themen der letzten Wochen waren das nicht.

Die US-Demokratie und ihre Grenzen

Worum geht es? Anfang Oktober 2013 bemerkte eine Journalistin auf CNN, mit wirklichen Zahlungsschwierigkeiten habe der Haushaltsstreit nichts zu tun: Anders als Hausbesitzer, die wegen fehlender Ratenzahlungen um ihr Heim fürchten müßten, habe das Finanzministerium keine Schwierigkeiten, an frisches Geld zu kommen. Nach wie vor seien die Zinsen niedrig. Sie verglich den US-Kongreß mit einem reichen Eigentümer, der sich ein Schloß zugelegt hat und sich nun weigert, die fälligen Zahlungen zu leisten. Tatsächlich geht es nicht um ein ökonomisches, sondern um ein politisches Problem. Es geht darum, wie und von wem die politische Macht in den USA ausgeübt wird. Wie schon 2011 und Anfang diesen Jahres fällt den US-Eliten das Finden eines Kompromisses zwischen verschiedenen politischen Linien offensichtlich sehr schwer.

Immerhin zeichnete sich im Senat früh die Bereitschaft zu einer Einigung ab. Dort waren die Vertreter der Tea Party unter den Republikanern in der Minderheit. Im Repräsentantenhaus sah es aber anders aus. Dort hatte sich der Mehrheitsführer John Boehner aufgrund des Drucks der Tea Party verpflichtet, keine Gesetze mit wechselnden Mehrheiten zu beschließen. Damit hatte der äußerste rechte Flügel ein Vetorecht, das vom Big Business in der Vergangenheit als Hebel gegen staatliche Einschränkungen ihrer unternehmerischen Freiheit begrüßt wurde.

Die Tea Party hatte sich nach der Wahlniederlage der Republikaner 2008 gebildet. Sie ist eher eine Bewegung unter den Republikanern als eine Partei, ihre Anhänger sind eher weiß, eher männlich, verdienen besser und sind reicher als der Durchschnitt der US-Amerikaner. (Kate Zernike/Megan Thee-Brenan“Poll Finds Tea Party Backers Wealthier and More Educated„. New York Times, April 14, 2010) Aber sie sehen ihre beste Zeit hinter sich – vor sich einen unaufhaltsam drohenden Zerfall. Die Tea Party hat zwei Themen: den „unamerikanischen“ Präsidenten in Washington – und die US-Wirtschaftspolitik in der Krise, zuallererst das große Rettungspaket TARP. Die Zustimmung der republikanischen Mehrheit im Kongreß zu diesem Programm war aus Sicht der Tea Party der ultimative Sündenfall der Grand Old Party – die deshalb dringend erneuert werden muß.

Die Grundlage für die Ausbreitung der Tea Party waren aber nicht die „bad feelings“ ihrer Wähler. Die Grundlage ihrer Erfolge war eine beispiellose Kampagne von Teilen des Big business, das nach dem Regierungswechsel von 2008 und angesichts der Krise um seinen Einfluß fürchtete. Zu den wichtigsten Förderern gehörten und gehören die Koch-Brüder und die Tabakindustrie.Die juristischen Hürden waren rasch aus dem Weg geräumt. Noch im Wahlkampf 2008 ging die konservative Lobbyorganisation „Citizens United“ vor Gericht, um Einschränkungen ihrer Fernsehsendungen zu verhindern. Anfang 2010 entschied der Oberste Gerichtshof, daß die Regierung sogenannte „unabhängige politische Beiträge“ von Organisationen oder Unternehmen nicht behindern darf. Damit waren die Tore offen für eine Runde der finanziellen Hochrüstung in US-Wahlkämpfen, zunächst in den Kongreßwahlen im Herbst 2010.

Die Finanzen sind das eine, das Wahlrecht ist das andere. Hier bietet das US-Wahlsystem gleich zwei Möglichkeiten, das Ergebnis zu beeinflussen, indem Grenzen richtig gezogen werden. Zunächst einmal die Grenzen zwischen den Wahlberechtigten und den Nichtwahlberechtigten. In den USA haben mindestens 15 Millionen über 18-jährige kein Wahlrecht – als legale oder illegale Nicht-Staatsbürger oder weil ihnen das Wahlrecht aberkannt wurde. So ließ Gouverneur Jeb Bush vor der Wahl 2000 das Wahlregister von Florida von ehemaligen (!) Straftätern säubern. Angesichts der rassistischen Praxis des US-Jusitizsystem verloren dabei besonders viele Afroamerikaner ihr Stimmrecht. Die Strafverfolgung ist zudem sozial höchst selektiv: Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Pleite einer Bank? Kein Land auf der Welt hat einen so hohen Anteil an Gefängnisinsassen wie die USA: Etwa 1 Prozent der Bevölkerung. Für das Jahr 2010 schätzte das Sentencing project die Zahl der US-Bürger, denen aus juristischen Gründen das Wahlrecht entzogen wurde, auf 5,9 Millionen.

Besonders makaber ist das angesichts der Tatsache, daß die Gefängnispopulation bei der zweiten Grenzziehung sehr wohl mitgerechnet wird: Beim Zuschnitt der Wahlkreise, obwohl die Gefangenen nicht wählen dürfen. Gerade in einem System des Mehrheitswahlrecht gibt die Gestaltung der Wahlkreise den Eliten eine zweite Chance, das politische Ergebnis vorab zu bestimmen. Die Herrschaftstechnik hat einen eigenen Namen – gerrymandering – und wird inzwischen mit ausgefeilten statistischen Techniken betrieben. Es geht aber auch ohne Computer: Das Wort geht auf Namen und Politik eines Gouverneurs von Massachusetts zurück, der sich auf diese Kunst schon Anfang des XIX. Jahrhunderts verstand. Aufgrund der entsprechenden Veränderungen in den letzten Jahren haben manche der Republikaner im Repräsentantenhaus inzwischen mehr Angst vor den Vorwahlen, d.h. vor der eigenen Partei, als vor den Wahlen selbst, deren Ausgang nur noch in 15 Prozent der Wahlkreise als unsicher gilt. Deshalb sind viele von ihnen unwillig, Kompromisse einzugehen: Sie könnten als „Rhinos“ – „Republicans only by name“ beim nächsten Mal durchfallen.

Nur gilt auch in der Politik: Geld allein schießt keine Tore. Und bei Wahlen zum Senat und zum Präsidenten hilft das Zirkeln der Wahlbezirke nicht, da hier alle Stimmen eines Bundesstaates zusammengezählt werden. Deshalb müssen die Republikaner weiter mit einem Präsidenten Obama und einer Mehrheit von Demokraten und „Rhinos“ im Senat leben. Anders in der zweiten Kammer des Parlaments. Zwar stimmte auch bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus die Mehrheit der US-Wähler für die Demokraten. Die Kandidaten der Republikaner erhielten 58.541.130 Stimmen, die der Demokraten 60.252.696. Aber die Republikaner bekamen 234, die Demokraten nur 201 Mandate. Aber die Verteilung der Stimmen auf die Wahlbezirke garantierte den Republikanern ihre satte Mehrheit der Mandate. Eine Mehrheit, die nun irgendwie genutzt werden sollte.

Angst vor einem Sozialstaat

Kurz nach Obamas Wiederwahl trafen sich Republikaner um den ehemaligen Generalstaatsanwalt Edwin Meese III, um eine neue Strategie nach der verloren Wahl zu entwickeln.(Sheryl Gay Stollberg/Mike McIntire:A Federal Budget Crisis Months in the Planning, New York Times, 5. Oktober 2013) Das Ziel: Obamas Gesundheitsreform verhindern. Da für die Durchführung des Gesetzes selbst kaum öffentliche Mittel eingesetzt werden, es sich vielmehr über die Krankenversicherungspflicht selbst finanziert, sollte dazu über Bande gespielt werden: Die Republikaner sollten einer Einigung über eine erhöhte Staatsverschuldung und einem neuen Haushalt nur zustimmen, wenn der „Affordable Car Act“ ausgesetzt oder zumindest eingeschränkt wird. Mit hunderten Millionen Dollar allein von Koch-Brüdern gesponsert wurde das nötige Netzwerk hochgezogen. Das brauchte Zeit. Im Februar/März, in der nächsten Runde im Streit um die Erhöhung des Schuldenstandes, konnten sie die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus noch nicht hinter dieser Formel vereinigen.

Aber es gelang danach, die bereits beschlossenen Verhandlungen über eine Haushaltssanierung komplett zu blockieren. Und während zwischen den Parteien nichts lief, mobilisierte das rechte Netzwerk für einen Showdown im Herbst. Einerseits sahen sie in der Erreichung der Schuldengrenze und dem Beginn des neuen Haushaltsjahres die Chance, ihre parlamentarische Mehrheit auszuspielen. Andererseits treaen mit dem Haushaltsjahr 2013/2014 am 1. Oktober zentrale Bestimmungen der Gesundheitsreform in Kraft getreten. Seitdem können US-Amerikaner ohne Gesundheitsversicherung den Prozeß zur Beantragung einer Aufnahme – ja, es ist so bürokratisch – in eine Krankenversicherung beginnen und Zuschüsse zu ihren Gesundheitskosten beantragen. Wenn die Reform noch gestoppt werden sollte, dann jetzt. Sonst könnten sich die Leute glatt an ihre neuen Rechte gewöhnen. In der New York Times vom 1. Oktober fasste Eduardo Porter die Befürchtungen der Republikaner knapp zusammen:

„So verkehrt das Gesetz auch sein mag, Obamacare, wie der Affordable Care Act genannt wird, könnte die Beziehung arbeitender Amerikaner zu ihrer Regierung grundlegend ändern. Für das Bekenntnis zu einer „kleinen Regierung“, das die Republikaner seit vier Jahrzehnten definiert hat, wäre dies eine existenzielle Bedrohung.“ (1. Oktober 2013)

Ganz gewiß wird mit ACA in den USA kein Sozialismus eingeführt. Selbst von einer breiten öffentlichen Gesundheitsversorgung oder auch nur einer allgemeinen Krankenversicherung ist das Gesetz weit entfernt. In aktiven Teilen der Gewerkschaften traf es deshalb auf heftige Kritik. Es geht auch nicht um die Profite der Gesundheitsindustrie. Die wird sich weiter ihre Dienste teuer bezahlen lassen und hat alle wesentliche Einschränkungen ihrer Marktmacht durch die Reform verhindern können. Schließlich werden die bereits beschlossenen Sparmaßnahmen – und die anstehenden Verhandlungen über Budgetkürzungen – noch viele Einschnitte bringen. Gehen doch alle aktuellen politischen Pläne der US-Eliten vom Primat der Haushaltssanierung und den Kürzungen des Sommers 2011 aus.

Trotzdem ist es gerade die „middle class“, insbesondere die weiße Arbeiterklasse, die mit der Ausweitung der Krankenversicherungen mehr soziale Sicherheit gewinnen kann. Nach Angaben des Census Bureau hatten 2012 knapp 48 Millionen US-Amerikaner keine Krankenversicherung, davon 40 Millionen im Alter zwischen 18 und 65. Die private >Kaiser Family Foundation“ kommt auf andere Ergebnisse: Nach ihren Umfragen hatten im letzten Jahr etwa 47 Millionen erwachsene US-Amerikaner unter 64 keine Krankenversicherung. In 63 Prozent der betroffenen Haushalte gibt es mindestens eine/n Vollzeitbeschäftigte/n, in weiteren 16 Prozent der Haushalte hat mindestens eine/r eine Teilzeitjob. Aber viele Selbstständige und Beschäftigte in kleinen Firmen können sich eine Versicherung nicht leisten. Und auch bei Firmengestützter Versicherung reicht es nicht immer für die ganze Familie. Arbeitslose schließlich haben kaum eine Chance – auch ein Grund, möglichst wenig Konflikte mit dem Boss zu riskieren.

Eine Krankenversicherung ist in den USA besonders wichtig, weil die Gesundheitsversorgung besonders teuer ist: Von wegen, der Markt senke die Preise. Wie sollte das auch funktionieren, wenn die einen keine Wahl haben, als die nötigen Medikamente und Behandlungen in Anspruch zu nehmen, Versicherungen nicht gestattet ist, Preise auszuhandeln – und daher die Anbieter problemlos profitträchtige Monopole errichten können. So kommt es, daß ein Asthma- Inhalator, der in London für 20 Dollar zu haben ist, in den USA 175 Dollar kostet. Insgesamt entfallen in den USA 16 Prozent des BIP auf das Gesundheitswesen (= etwa 2,7 Billionen Dollar). Aber den hohen Kosten stehen für viele keine angemessenen Leistungen gegenüber.

Nun sollen Geringverdiener – bis zu 133 Prozent der Armutsgrenze – in die staatlichen Versorgung Medicaid aufgenommen werden. (Die Armutsgrenze liegt zur Zeit bei 11.344 Dollar pro Jahr für eine Einzelperson, etwa 47.000 Dollar für einen vierköpfigen Haushalt.) Für Haushalte mit einem Einkommen bis zum vierfachen der Armutsgrenze sollen Zuschüsse zur Krankenversicherung und weitere öffentliche (Transparenz,Rechtsschutz beim Abschluß) greifen. Versicherungen müssen einen gewissen Standard ohne Zuzahlungen garantieren und sollen keine Möglichkeiten mehr haben, Bewerber aufgrund besonderer Risiken abzulehnen. Die Familienversicherung für Kinder wird ausgedehnt. Studien gehen davon aus, daß unter dem ACA etwa 28 Millionen US-Amerikaner erstmals Zugang zu einer Krankenversicherung erhalten werden.

Und damit geht es um eine Machtfrage: Werden auch künftig die US-Amerikaner auf Gedeih und Verderb ihr Leben nach den Erfordernissen des Marktes ausrichten müssen? Oder gibt es eine gewisse, öffentlich garantierte Absicherung im Falle existenzieller Risiken?

1994, als unter der Regie von Hillary Clinton ein erster Anlauf zu einer Gesundheitsreform unternommen wurde, schrieb der Erzkonservative William Kristol seinen Parteifreunden ins Stammbuch:

„Die Annahme des Clintonplans in irgendeiner Form wäre ein Desaster. Es würde eine beispiellose staatliche Einmischung in die amerikanische Wirtschaft garantieren. Ein Erfolg wäre ein Signal für die Wiederherstellung des zentralisierten Sozialstaats in genau dem Moment, wo er in anderen Bereichen als Versager wahrgenommen wird.“

Damals war die Strategie der Republikaner erfolgreich. Die Niederlage in der Auseinandersetzung um die Gesundheitsreform eröffnete den sozialpolitischen Rechtsruck der Clinton-Regierung. Wovor Kristol aber wirklich Angst hatte, das wollte er im Wall Street Journal nicht öffentlich machen. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 tat es Mitt Romney, wenn auch unfreiwillig: Dummerweise hatte jemand mitgeschnitten, was er vor spendenfreudigen Gesinnungsfreunden zum besten gab. Die Veröffentlichung des Videos auf der Website von „Mother Jones“ war heftiger Schlag für die Glaubwürdigkeit des „mitfühlenden Konservativen“:

„Da gibt es 47 Prozent der Leute, die auf jeden Fall für den Präsidenten stimmen. Ja, da gibt es 47 Prozent, die sind für ihn, die sind von der Regierung abhängig. Die halten sich für Opfer, die glauben, die Regierung muß sich um sie kümmern, die glauben, sie hätten ein Recht auf Gesundheitsversorgung, Nahrung, Wohnung, auf was auch immer. Das es solche Rechte gibt. Und die Regierung sollte es ihnen geben. Und sie werden auf jeden Fall für diesen Präsidenten stimmen. … Das sind Leute, die keine Einkommenssteuer zahlen. … Meine Aufgabe ist es nicht, sich um diese Leute zu sorgen. Ich werde sie nie überzeugen, daß sie persönliche Verantwortung übernehmen und sich um ihr Leben kümmern sollen.“

Teile der US-Eliten haben Angst davor, ihnen könnte die Kontrolle über das Land entgleiten, wenn die sozialen Mehrheitsverhältnisse sich auch politisch niederschlagen. Anders als die Gründerväter der USA können sie sich mit ihren Überzeugungen nicht mehr schadlos in der Öffentlichkeit blicken lassen. Aber sie denken wie John Jay: „Those who own the country ought to govern it.“ – „Denen das Land gehört, die sollen es auch regieren.“ So fürchten sie alles, was der ökonomischen Erpressung der arbeitenden Mehrheit irgendwelche Grenzen setzen könnte. Deshalb konnten sich die Damen und Herren der Tea Party immer wieder der Unterstützung durch das Big Business sicher sein.

Mit manchem Geld wird nicht gespielt

Ob es in Einzelstaaten um die Einschränkung von Gewerkschaftsrechten oder um die Einschränkung von Sozialleistungen geht: Die rechten Republikaner sahen sich als die Speerspitze der Freiheit und des freien Unternehmertums. Zwar gab es Unstimmigkeiten: In Missouri empfahl die Handelskammer die Ausweitung von Medicaid entsprechend dem ACA, um den Gesundheitsunternehmen Zugang zu den hohen Zuwendungen der Bundesregierung zu verschaffen – die Republikaner aber lehnten ab. Auf Bundesebene scheiterte die Einwanderungsreform nicht am Großkapital – das war dafür – sondern am Kongreß. Trotzdem sahen sich beide Seite als Verbündete. Bis zum Oktober 2013.

Je näher der drohende Zahlungsausfall rückte, um so unruhiger wurden die Lobbyisten der Unternehmerverbände. Offensichtlich hatten die Republikaner keine Strategie, um den „default“ – die Pleite der USA – sicher zu vermeiden. Statt dessen machten aberwitzige Vorschläge die Runde. So schlugen Republikaner vor, das Finanzministerium könne nach dem 17. Oktober doch einen Zahlungsausfall vermeiden. Es müsse nur die Zinsen und Tilgung auf die US-Staatsschuld brav zahlen, und statt dessen andere Rechnungen über Sozialleistungen oder eben Stromrechnung liegen lassen. Andere Republikaner machten gar keinen Hehl daraus, daß eine Pleite nur kurzfristig problematisch, langfristig aber der Weg zur Gesundung der Staatsfinanzen sei. Bruce Bartlett, strammer Reagananhänger, aber kein Neocon, warnte auf seinem Blog in der New York Times: Für manche Hardliner ist die Staatspleite das Ziel. Die Treasuries, die US-Staatsschuldpapiere, sind aber die Grundlage des US- Finanzsystems. Öffentliche Bekundungen aus dem Kongreß, man wolle die Staatsschuld doch nur als wertvolle Geisel nehmen, um damit etwas wichtiges zu erreichen, entspannten die Lage nicht wirklich. Denn: „Manchmal stirbt die Geisel im Kreuzfeuer.“(Bruce Bartlett)

Was die Herren und Damen der Tea Party bei ihren Planungen vergessen hatten, war die schlichte Tatsache, daß auch eine radikale Speerspitze des wahren Amerika und freien Unternehmertums eingebettet bleibt in die irdischen Machtverhältnisse des realen Amerika. Und das heißt: mit dem Geld des Big Business spielt man nicht. Ihre Niederlage war eine Pleite mit Ansage, die über die Märkte kam. Innerhalb weniger Tage nach Beginn des Haushaltsjahres zogen die Zinsen für kurzfristige US-Staatsschuldscheine an.
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Die Geldvermögensbesitzer waren von den wenn auch vagen Aussichten auf einen möglichen Zahlungsausfall nach dem 17. Oktober nicht erfreut. Am 5. Oktober legte Goldman Sachs Research eine kleine Studie vor, in der die volkswirtschaftlichen Konsequenzen des „defaults“ geschätzt wurden: ein Minus von 4,2 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt. (Die erste Veröffentlichung des Berichtes hatte das Minus noch mit 9 Prozent beziffert, das sei aber ein Rechenfehler gewesen.)

Diese Warnung nahm selbst das erzliberale American Enterprise Institute ernst: Am 7. Oktober hieß es auf ihrem Blog: Eine Krise um die Erhöhung des Schuldenstandes wäre ein „katastrophaler Erfolg für die Republikaner“. Beunruhigung machte sich in den Wirtschaftseliten breit: Vielleicht überzogen die Republikaner bei dem Versuch, die verhasste Gesundheitsreform loszuwerden? Verschiedene US-Medien berichteten, daß Lobbyisten der US- Handelskammer, anderer Unternehmensverbände, ja sogar hochstehende Unternehmensvertreter zum Telefon griffen, um sich über die politische Strategie der Republikaner zu informieren und ihre Bedenken vorzutragen. Doch sie mußten feststellen, daß ihre Anrufe nicht begrüßt wurden, ja, manchmal kamen sie gar nicht durch.

Spätestens am Wochenende des 12./13. Oktober war eine Kursänderung fällig. Statt auf irgendeine Einigung zwischen Präsident und Republikanern zu hoffen, setzten nun mehr Vertreter des Kapitals auf eine Spaltung der Republikaner im US-Kongreß. Nun konnten die kompromissfähigen Machtpolitiker im Senat die Führung übernehmen. Ein Stück weit wiederholte sich die Geschichte der Verabschiedung von TARP: Wenn die Republikaner im Kongreß ihre Aufgabe mißverstehen, müssen sie erzogen werden. Unter diesem Druck scheiterten am Montag und Dienstag alle Versuche, die Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus hinter irgendeiner Lösung zu versammeln, die eine Zahlungsfähigkeit der US-Regierung über den 17. hinaus sichern konnte. Mittwoch Nachmittag gestand Boehner die Niederlage ein. Am Ende haben 87 Republikaner im Repräsentantenhaus mit den Demokraten gestimmt, um die Mehrheit zu sichern.

Und nun?

Es gab in den letzten Wochen drei Auskünfte über das gesellschaftliche Kräfteverhältnis in den USA. Die erste war die Einkommensstatistik: Alle Einkommenszuwächse seit der Krise gingen den Reichen zu. Preisveränderungsbereinigt ist das mittlere Haushaltseinkommen (der Median) mit etwa 51.000 Dollar pro Jahr wieder auf dem Stand der achtziger Jahre. Die zweite Auskunft ist der Verlauf des Haushaltsstreits: Obwohl die Mehrheit der US-Amerikaner allen Grund hätte, den Eliten auf die Finger zu klopfen, konnten diese den Haushaltsstreit unter sich ausmachen. Zwei Jahre nach Occupy geht es nicht um eine Umverteilung von oben nach unten, sondern um die Art der Haushaltssanierung. Die dritte Auskunft ist das Ergebnis des Konflikts: Das Big Business hat die Tea Party in die Schranken gewiesen und damit die Gesundheitsreform praktisch akzeptiert. Nun werden sie bei den Haushaltskürzungen eine Kompensation fordern.

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