Nach intensiven Vorbereitungen ist am 21. Januar der Offene Brief von Geschichte-wird-gemacht, dem neuen Netzwerk für faire Arbeitsbedingungen in Museen und Gedenkstätten, seinen Adressaten zugestellt worden: Der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Frau Dr. Monika Grütters (CDU), dem Senator für Kultur und Europa, Dr. Klaus Lederer (LINKE), und der Kulturministerin Manja Schüle (SPD) in Brandenburg. Als Erstunterzeichner*innen stehen unter dem Text über 220 Namen. Online haben seither mehr als 150 weitere Kolleginnen und Kollegen unterzeichnet, nicht nur aus Berlin und Brandenburg. Eine kurze Vorstellung einer kollektiven Anstrengung.
Der Grund für den Offenen Brief und die Gründung des Netzwerkes ist einfach. An der Fairness unserer Arbeitsbedingungen haben wir begründete Zweifel. Insofern konnte die öffentliche Übergabe des Briefes keine reine Werbeveranstaltung für die Amtsinhaber werden. In einer Pressemitteilung am Sonntag, den 19. Januar, kündigten wir das Ereignis ordentlich an. Daraus ergaben sich erste Presseanfragen und Reaktionen. Aber der Text war noch nicht öffentlich. Die Berliner Dienststelle der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und die Senatsverwaltung für Kultur und Europa waren also einerseits vorgewarnt und hatten sich auf Besuch eingerichtet. Sie waren aber auch etwas unsicher, als am Vormittag des 21. gut 10 Kolleginnen und Kollegen in beiden Einrichtungen vorbeikamen. Die Zustellung an das Brandenburger Ministerium mussten wir angesichts unserer begrenzten Ressourcen der Deutschen Post überantworten.
Bei der Übergabe im BKM und der Senatsverwaltung gab es eine Gemeinsamkeit. An beiden Orten wurden wir der Wertschätzung für unsere Arbeit versichert, aber auch eine Unzufriedenheit über die gewählte öffentliche, konfrontative Form der Wortmeldung deutlich gemacht. Im BKM kam es darüber hinaus zu einem improvisierten, aber durchaus inhaltsreichen kurzen Austausch der unterschiedlichen Sichtweisen auf Problemlagen und Konflikte im Bereich der Museen und Gedenkstätten.
Erste Reaktionen
Parallel zur Übergabe der Briefe ging die Website online. Daraufhin gab es weitere Pressereaktionen in der (MOZ, dem neuen deutschland, der taz, und der jungle world). Eine Gelegenheit zu einer ausführlicheren Diskussion bot nur ein Interview auf Radio Corax. Aus der Bundestagsfraktion der LINKEN haben sich die Vertreterinnen der Partei im Kulturausschuss, Simone Barrientos und Brigitte Freihold, gemeldet und ihre Kooperation angeboten. Ein erstes Gespräch mit Frau Barrientos hatte eine kleine Delegation am letzten Freitag (31.1.). Die für uns schönste und nicht selbstverständliche Reaktion sind viele neue Unterstützer*innen und Zustimmung von Kolleginnen und Kollegen aus ganz verschiedenen Ecken des Bundesgebiets.
Daneben gab und gibt es Diskussionen in verschiedenen Einrichtungen. An einigen Stellen gab es die Frage, ob der Offene Brief als Kritik an den Museen und Gedenkstätten, personifiziert durch die Leitungen, zu verstehen ist – wobei auf die angestellten Kolleginnen und Kollegen mehr Druck ausgeübt wurde, als auf die freischwebenden Freien. An einigen, nicht immer anderen Stellen gab es die Frage, ob der Brief nicht als heimlich Schützenhilfe für die Leitungen in ihren Wünschen nach öffentlicher Förderung verstanden werden könnte. Offensichtlich ist der Offene Brief trotz langer Diskussionen über den genauen Wortlaut immer noch für viele Interpretationen offen. Auf ungeteilte Zustimmung konnten wir nicht rechnen. Wichtig ist: Bisher hat noch keine Kollegin und kein Kollege seine Unterschrift wieder zurückgezogen. Auch das ist schön und nicht selbstverständlich.
Von den drei Adressat*innen des Briefes hat sich zuerst Frau Grütters zurückgemeldet, indirekt, in einer Antwort auf Fragen des Berliner tagesspiegel: Sie habe „die im Hause zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um eine Bewertung der Forderungen gebeten. Wegen des umfassenden Forderungskatalogs und der Vielzahl der benannten Einrichtungen werde dies einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen“. Inzwischen kam auch ein Termin in Potsdam mit dem zuständigen Staatssekretär, Tobias Dünow, zustande. An vielen Stellen ist viel zu erklären. Etwa der Irrwitz, das manche Finanzämter soloselbständige Referent*innen in der Bildungsarbeit bei der Umsatzsteuer wie gewinnorientierte Unternehmen behandeln wollen – trotz gegenteiliger Gerichtsentscheidungen (Bundesfinanzhof, 10.08.2016, V R 38/15). Oder die Schwierigkeiten bei der sozialen Absicherung der Freien – obwohl dieses Thema sogar den Bundestag erreicht hat.
Rückblick …
Die Arbeit des Netzwerks begann vor fast einem Jahr, mit einem Treffen am 1. März 2019. Von Anfang an war es ein Projekt der Selbstorganisation von Kolleginnen und Kollegen, mit all den Schwierigkeiten und dem nötigen Realismus, den so ein Anlauf ohne Großorganisation im Hintergrund erfordert. (Die Starthilfe von https://www.rechtundarbeit.net soll aber nicht verschwiegen werden.) Einige Aktive haben Erfahrungen aus gewerkschaftlicher Arbeit in verdi, der GEW oder der FAU mitgebracht. Erfahrungen mit Konflikten auf Arbeit haben alle.
Wir kommen aus verschiedenen Bereichen, die sonst eher getrennt betrachtet werden: Freie und Angestellte, Servicekräfte und WiMis, Kurator*innen und Bildungsreferent*innen, Leute aus NS-Gedenkstätten und DDR-Gedenkstätten und „normalen“ Museen aller Art, Ost und West und länderübergreifend. In der Gewerkschaft ver.di organisierte Kolleg*innen sind auf mindestens vier verschiedene Fachbereiche verteilt: Bildung, Wissenschaft und Forschung/ Besondere Dienstleistungen/ Bund und Länder/ Medien, Kunst und Industrie. Die Zuordnung ist öfter ziemlich willkürlich, weil wir im Laufe der Zeit an verschiedenen Stellen in verschiedenen Jobs tätig sind. Gemeinsam haben wir, dass wir in Museen und Gedenkstätten arbeiten und dass ohne unsere Arbeit die Einrichtungen nicht funktionieren würden – auch wenn die Ausgaben für viele von uns im Haushalt nicht als Personalmittel, sondern als Sachmittel verbucht werden.
… und Ausblick
Diese Vielfalt war und ist nicht unanstrengend, aber eher eine Stärke. Die Organisation des Netzwerks läuft zum einen über die elektronischen Kanäle, die Arbeitsstrukturen über die gute alte E-Mail. Zum anderen gibt es nach Bedarf echte Treffen der Aktiven. Am letzten Treffen am 31. Januar haben wir verabredet, dass wir nicht einfach auf die Antworten „der Politik“ warten werden.
Zum einen werden wir das Projekt eines „Betriebsspiegels“ fortführen, mit dem die Arbeitsbedingungen und Probleme in verschiedenen Einrichtungen mit einem Fragebogen erfasst werden. Im letzten Sommer hatte wir das schon einmal begonnen. Mit dem Stress rund um den Offenen Brief war das aber weggerutscht. Zum anderen organisieren wir in der zweiten Hälfte des Mai – am 15./16. oder 29./30. Mai – ein offenes Treffen in Berlin, das Gelegenheit für Diskussionen über die Arbeit und die Arbeitsbedingungen ermöglicht.
Eins hat auf jeden Fall nicht wirklich funktioniert: Im letzten Herbst hatten wir eine Selbstverpflichtung formuliert, dass jede/r nicht mehr als 5 Stunden pro Woche in diese Selbstorganisierung stecken sollte. Denn es handelt sich um echte Selbstorganisation, die jede/r neben der Erwerbsarbeit und dem sonstigen Alltag betreibt. Daran konnten wir uns – bisher? – nicht halten.