Neue Daten, alte Probleme
Der Rechnungshof Berlin veröffentlichte am 5. März 2024 eine Studie zu den „Auswirkungen einer Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen auf den Landeshaushalt“. Der Bericht provozierte Reaktionen der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“, die für das Problembewusstsein des Projektes wenig gutes vermuten lassen. Schließlich legte die Vonovia Mitte März ihren Geschäftsbericht 2023 vor. Darin schlägt der Aufsichtsrat trotz eines negativen Jahresergebnisses von 6,76 Milliarden Euro die Auszahlung einer Dividende von 733.180.498,20 Euro vor. Wie das alles geht? Einblicke in aktuelle Konfliktlagen.
Beginnen wir mit dem einfachen: Angesichts von Inflation und Zinswende ist die Spekulation auf weiter steigende Immobilienpreise bis auf weiteres kein erfolgversprechendes Geschäftsmodell mehr. Die größte Wohnimmobilien-AG Europas, die Vonovia, musste ihren Wachstumskurs 2022 abrupt beenden (Übersicht 2014-23). Die Investitionen wurden zusammengestrichen. Abschreibungen und Verminderung der Buchwerte führen zu deutlichen Verlusten. In der Bestandsbewirtschaftung verdient das Unternehmen aber genug, um nicht zu Notverkäufen gezwungen zu sein. Die engen Wohnungsmärkte ermöglichen weiter steigende Mieten. Und die Gewinnrücklagen gestatten der Vonovia einen positiven Bilanzgewinn trotz eines negativen Jahresergebnisses und damit die Ausschüttung von Dividenden. Die Berliner Vergesellschaftungsinitiative ist im Geschäftsbericht 2023 unter den wohnungspolitischen Entwicklungen des Jahres erwähnt, aber nicht als Geschäftsrisiko aufgefasst.
Der Berliner Rechnungshof hatte bereits in der Sitzung der Expertenkommission Vergesellschaftung am 26./27.4.23 sein Modell zur Einschätzung der Entschädigungsfolgen vorgestellt (Protokolle hier). Das damalige Material ist nicht öffentlich. Aber offenbar ging der Rechnungshof schon damals von verschiedenen, exogen gesetzten Entschädigungssummen aus: Das entspricht dem Selbstbild der Institution, die nicht an Stelle des Gesetzgebers entscheiden, sondern nur beraten soll. Im nun veröffentlichten Bericht entwickelt der Rechnungshof 4 Szenarien. Für die Vergesellschaftung vom 240.000 Wohnungen werden Entschädigungen in Höhe von 8 Milliarden Euro, 11 Milliarden, 29 oder 36 Milliarden Euro betrachtet. Die Studie kommt schließlich zu einem wenig überraschenden Ergebnis: „Um die Mieten zu senken oder zumindest zu entdynamisieren, müsste die Entschädigungssumme sehr niedrig ausfallen. Aber je weiter sich die Entschädigung vom Verkehrswert entfernt, desto größer wird das rechtliche Risiko.“(Bericht, Seite 24)
Tatsächlich: Wenn umfangreiche Subventionen des Landes zum laufenden Betrieb der angestrebten Anstalt öffentlichen Rechts ausgeschlossen werden, dann ist dies genau das Dilemma. Mit Philipp Mattern hatte ich 2019 in analyse&kritik einen Beitrag zur Berliner Wohnungspolitik veröffentlicht: „Deckel drauf reicht nicht“. Darin schrieben wir zur Enteignungsinitiative:
„Es kommt aber nicht nur darauf an, die Eigentumsfrage zu stellen. Sie muss auch realistisch beantwortet werden. Die mitunter fantasievollen Rechnungen zur »Kostenschätzung« versuchen sich dagegen an der Quadratur des Kreises: Das Privateigentum muss geachtet werden, seine Vergesellschaftung soll aber nicht viel kosten.“
2021 scheiterte das kühne Projekt des Mietendeckels vor dem Bundesverfassungsgericht: Das Land habe keine Gesetzgebungskompetenz in dieser Frage. Die Entscheidung aus Karlsruhe kam pünktlich vor dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen enteignen“ und hat zum Erfolg der Initiative sicher beigetragen. Seither allerdings ist die Vergesellschaftung nur theoretisch vorangekommen: Die Expertenkommission bestätigte im Juni 2023 die prinzipielle rechtliche Möglichkeit einer Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen. Die zentrale Entschädigungsfrage klammerte die Kommission dagegen aus ihren Beratungen aus.
Vorschläge zur Begründung und zum Vergleich verschiedener Entschädigungsvarianten enthielt die Ausarbeitung der AG Sozialisierung: Schon damals galt: „Soziale Wohnungspolitik gibt es nicht umsonst“. Das war im Sommer 2021. Seither haben Inflation und Zinswende einiges verschoben. 2021 waren wir zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Refinanzierung aus damals geringeren Mieten bei einer Entschädigung von bis zu 17 Milliarden EUR möglich ist. Aber schon damals haben wir auf verschiedene Bedingungen verwiesen, höhere Zinsen und andere Szenarien in Betracht gezogen. Inzwischen ist eingetreten, was vielen Menschen lange Zeit als rein theoretische Möglichkeit galt: Finanzierungskonditionen können sich ändern. Von daher ist nicht verwunderlich, dass den tragbaren Entschädigungssummen trotz gestiegener und – moderat – steigender Mieten engere Grenzen gesetzt sind, was das vom Rechnungshof angesprochene rechtliche Risiko und damit den politischen Einsatz erhöht.
Das heißt nicht, dass der Rechnungshof in allem Recht hat. Das kann man aber nur nachprüfen, wenn man selbst rechnet. Ein grober Vorschlag findet sich hier. Grob deshalb, weil das Modell des Rechnungshofs nur nachgebaut ist und nicht allen Einzelheiten rekonstruiert werden konnte. So erreicht dieses Modell die Größe
der vom Rechnungshof berechneten Ausgangsmieten nur dann, wenn auf die angegebenen Kosten für Verwaltung+Instandhaltung etc. von 2,20 EUR (S. 25) ein für mich unmotivierter Aufschlag von 55 Cent pro qm und Monat angenommen wird – siehe 1. Tabelle „Ausgangsmieten“. Dieser Aufschlag ist relevant, denn an ihm hängt die Feststellung:
„Das vom Rechnungshof entwickelte Berechnungsmodell hat ergeben, dass bereits Entschädigungssummen über 11 Mrd. € wegen der hohen Finanzierungskosten unweigerlich zu Defiziten bei der Bewirtschaftung der zu vergesellschaftenden Bestände durch eine AöR führen.“(S.23) Die berechneten Ausgangsmieten sind insgesamt etwas merkwürdig: Der Zusammenhang zwischen Entschädigungshöhe und Ausgangsmiete ist nicht linear. Die Gründe sind für mich nicht ersichtlich. Im vorgeschlagenen Modell ist das anders.
Für den Vergleich der Dynamik geht mein Vorschlag von einer Normmiete ebenfalls von anfangs 7,16 EUR Nettokaltmiete und 2,20 EUR Verwaltung+Instandhaltung etc. aus. Durchgerechnet mit Dynamik über 30 Jahre sind fünf Szenarien: Entschädigungen zu 8, 11, 14, 29 und 36 Milliarden. Die 14 Milliarden sind mit dabei, weil sie bei diesen Parametern – d.h. ohne den Aufschlag von 55 Cent – durchaus nachhaltig finanzierbar sind. Bei höheren Entschädigungssummen kann das nicht mehr gelingen. Eine Verlängerung der Rückzahlung um 10 oder mehr Jahre ändert das Bild nicht qualitativ, das Modell kann im Parameter „Laufzeit in Jahren“ entsprechend angepasst werden.
Die sachliche Debatte muss weitergehen. Leider zieht es die Enteignungs-Ini vor, sich öffentlich hinter einer Scheinlösung zu verschanzen, die Ralf Hoffrogge in einem Interview mit der jungen Welt ausgeführt hat. Unter Bezug auf den aktuellen Börsenkurs der Vonovia schlägt er vor:
„Vielleicht gibt Berlin lieber 21 Milliarden Euro aus und kauft Vonovia, verkauft dann die Bestände in anderen Städten an Mietergenossenschaften und macht noch Plus damit.“
Dieser Vorschlag unterschlägt jedoch, dass ein Erwerb der Vonovia durch Ankauf der Aktien zum derzeitigen Börsenwert von knapp 22 Milliarden Euro nicht nur das Immobilienvermögen des Konzerns übernehmen würde, sondern auch die Verbindlichkeiten. Zum 31.12.23 beliefen sich die Schulden der Vonovia auf 62 Milliarden Euro. Ralf Hoffrogge hat nicht ausgeführt, zu welchen Preisen die Bestände in anderen Städten an Mietergenossenschaften verkauft werden sollen. Aber es wird nicht einfach sein, Käufer*innen zu finden und dabei nicht Pleite zu gehen – denn die 22 Milliarden müssen ja auch irgendwie finanziert werden. Auch Ralf Hoffrogge will rechnen:
„Und wenn man ehrlich rechnet: Wenn Sie ein Haus kaufen und der Preis ist signifikant niedriger als die zu erwartenden Mieten der nächsten 30 Jahre, machen Sie Plus.“
Nur: Was ist schon „signifikant niedriger“? Vielleicht die Hälfte? Aber wie hoch sind die Kosten der Bewirtschaftung? Und wie hoch dürfen die Kosten sein, damit noch ein „Plus“ übrig bleibt? Umsonst ist für die Menschheit die Energie der Sonne, schon ihre Nutzung erfordert einigen Aufwand. Sicher, jeder große technologische Fortschritt hat die Illusion hervorgebracht, das „die Arbeit“ überflüssig werden würde. Dann müsste man sich um banale Dinge wie den Vergleich von Aufwand und Ergebnis angesichts künftigen Überflusses nicht mehr kümmern. Jeder technologische Umbruch hatte seinen Schlaraffenland-Moment. Genutzt hat diese Illusion immer nur denen, die die Arbeit der Leute und die arbeitenden Leute gern ignorieren.
„Das politische Problem besteht darin, zu erkennen, wie man die Instrumente beherrschen kann, die man zur Beherrschung der Anarchie individueller Strategien und zur Herstellung einer konzertierten Aktion verwenden muss. Wie kann die Gruppe die von einem Sprecher ausgedrückte Meinung kontrollieren, der in ihrem Namen und zu ihren Gunsten, aber auch an ihrer Stelle spricht?“(Pierre Bourdieu)