Playing Chicken?

Mit dem Wissen um die Macht des Geldes sind die Tea Party und Kanzelerin Merkel aufs Ganze gegangen – und haben gewonnen.

Die Ergebnisse des EU-Gipfels vom 22. Juli und die Gesetzgebung zum US-Schuldenstreit vom 1./2. August markieren den aktuellen Stand der Kräfteverhältnisse im Jahr vier nach dem Beginn der US-Finanzkrise im Sommer 2007. Und das Bild ist eindeutig: Nicht die Gebeutelten der Krise, nicht die Arbeitslosen und abhängig Beschäftigten, nicht die Unruhen in Arabien und auch nicht der vielbeschworene Mittelstand oder die „US-middle-class“ bestimmen die Tagesordnung der Weltpolitik, sondern das große Geld.

In den Tagen der Zuspitzung verbreitete sich diesseits wie jenseits des Atlantik einige Unruhe. Sorgen kamen auf, ob die Politiker im Streit um die Schulden der Euro-Staaten und der US-Regierung nicht überziehen. Für diese Sorgen fanden US-Journalisten in ihrer Kultur rasch das passende Bild: „Playing chicken“. Normalerweise ist dies ein Spiel, mit dem Halbstarke in US-Filmen ihren Mut erproben: Zwei Autos fahren mit zunehmender Geschwindigkeit aufeinander zu. Wer ausweicht, hat verloren. Wer nicht ausweicht, zeigt seinen unerschütterlichen Mut. Nur daß nicht beide gewinnen können, jedenfalls nicht lebend. Es gibt allerdings eine regelwidrige Möglichkeit, aus diesem dummen Spiel immer als Gewinner hervorzugehen: Wenn man vorher weiß, daß der andere ausweichen muß.

In Euroland hat sich die Bundesrepublik als unbestrittener Maßstab wirtschaftlichen Erfolgs etabliert und zwingt nun Schritt für Schritt den EU-Staaten ihre Maßstäbe finanzpolitischer Solidität auf. In den USA haben die Republikaner im US-Kongreß als Gegenleistung für die Erhöhung des Gesamtschuldenlimits ein Austeritätsprogramm durchgesetzt, mit dem ausschließlich über Ausgabenkürzungen ein Beitrag zu Verminderung der US-Neuverschuldung geleistet werden soll. Zwar ist alles andere als klar, wie und wo genau die 2.400 Mrd. US-Dollar in den nächsten zehn Jahren eingespart werden können. Aber Ausgabenkürzungen treffen immer nur die, die mangels eigenen auskömmlichen Vermögens auf öffentliche Dienstleistungen oder Unterstützung angewiesen sind: „Die Einigung heißt Ausgabenkürzung und keine Steuererhöhungen. Praktisch heißt das, daß die Last zur Senkung des Defizit den Armen und Normalverdienern auferlegt wird, statt den Gutverdiener und den Reichen.“ (William G. Gale, Good News and Bad News in Debt Limit Deal) Eine kurzfristig wirksame Maßnahme wird das Auslaufen der verlängerten Arbeitslosenunterstützung zum Ende diesen Jahres. Und das bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von 9 Prozent. Wie auch immer man zu Sarah Palin steht – der Sieg der Tea Party, den sie am 1. August gleich nach der Einigung verkündet hat, ist substantiell. Oder wie es William Gale schreibt: Das Gesetz ist „eine vollständige Kapitulation der Demokraten“.

Worum ging es? Standen die USA tatsächlich vor einer Pleite?

Ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Kurse der US-Staatsschuldpapiere zeigt, daß die Krise in Washington einen ganz anderen Charakter aufwies als die Probleme der Euro-Länder Griechenland, Irland, Portugal oder auch Spaniens und Italiens. Die Kurse gaben selbst auf dem Höhepunkt des Konfliktes nicht nach. Ungebrochen war die Nachfrage nach ihren Schuldscheinen. Das heißt: Ganz anders als etwa Griechenland konnten sich die USA weiterhin zu recht geringen Zinsen neue Kredite besorgen. Das Problem bestand in etwas ganz anderem: Relevante Teile des US-Kongreß wollen keine neuen Schulden aufnehmen, weil sie nicht nur die staatlichen Gelder falsch eingesetzt sehen, sondern vor allem der Regierung Obama eine prinzipielle Niederlage beibringen wollten.

Schon einmal hatten die Republikaner das Haushaltsrecht nutzen wollen, um prinzipielle Veränderungen der Wirtschafts- und vor allem Sozialpolitik, damals der Regierung Clinton, herbeizuführen. Auch damals hatte sich eine frisch gewählte republikanische Mehrheit im Kongreß gegen einen ungeliebten Präsidenten durchsetzen wollen. Zwischen dem 16. Dezember 1995 und dem 6. Januar 1996 kam es tatsächlich zu effektiven Einschränkungen der US- Administration, weil hunderttausende Beschäftigte der Regierung zwangsweise beurlaubt werden mußten. Die Folgen dieser Kraftprobe waren für die Republikaner ambivalent. Einerseits folgte die Regierung Clinton mit der „welfare reform“ vom Sommer 1996 weitgehend ihren Vorstellungen. Andererseits verloren sie die Präsidentschaftswahlen im November 1996 (zu beidem vgl. den Beitrag in der Zeitschrift Arbeiterpolitik, 1/1997).

Diesmal stützt sich die harte Haltung der Republikaner im Parlament nicht nur auf ihren Erfolg in den Herbstwahlen 2010. Sie wird genährt von der Ausbildung der Tea Party als einer eigenständigen, erzliberalen Strömung innerhalb der Republikaner. Ihr Slogan: „Starve the biest“ – „Die Bestie (Staat) (verhungern lassen.“ Warnungen, etwa des altkonservativen John McCain, die Konfrontation habe sich 1996 bei den Wahlen nicht ausgezahlt, schlugen sie in den Wind. Umfragen weisen aus, daß die letzten Wochen das Ansehen der Volksvertreter im Volke deutlich vermindert haben. Aber gedeckt wurde die Tea Party nicht zuletzt von der größten und einflußreichsten Organisation des Kapitals in der USA, der US Handelskammer: Zwar mußte ein Zahlungsausfall der USA unbedingt vermieden werden, aber die Erpressung der Regierung wurde begrüßt. Die Handelskammer freut sich bereits darauf, weiter mit dem Kongreß zusammenzuarbeiten, um „Ausgaben zu reduzieren, die Privatwirtschaft wachsen zu lassen und Jobs zu schaffen.“ Und was für Jobs! Profitable halt.

Tatsächlich wird bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr nur noch über die Ausgestaltung der Austeritätspolitik, aber nicht mehr über die prinzipielle Richtung der US-Sozialpolitik entschieden werden. Und dies nicht allein wegen der Tea Party. Doug Henwood hat in der Diskussion über den Schuldendeal kurz und drastisch auf das Kernproblem der Linksliberalen in den USA hingewiesen: Es ist naiv zu glauben, daß Obama einfach falschen Ratgebern oder äußerem Druck folgt. Obama hält die Politik der Schuldenreduzierung für grundsätzlich richtig. Und zwar einer Schuldenreduzierung, die nicht auf Kosten der US-Weltgeltung geht, weder im ökonomischen Bereich (Rettung der Wall Street 2008), noch im militärischen. Vielleicht Änderungen in der Steuerpolitik, keinesfalls aber erweiterte Sozialleistungen gehören zu seinem Programm.

Die Herausgeberin von „The Nation“, vielleicht das Flaggschiff linksliberalen Journalismus in den USA, schrieb den Leserinnen und Leser am 3. August: „If the President won’t fight, we must.“- „Wenn der Präsident nicht kämpfen wird, müssen wir.“ Wer das Internetangebot der Zeitschrift aufruft, wird als erstes vom Banner der Obama-Wahlkampagne 2012 begrüßt.

Euroland – Die Einflußsphäre des deutschen Kapitals

Über die Zwistigkeiten in Washington ging das Interesse an den Schwierigkeiten in der Euro-Zone für ein paar Tage zurück. Klar ist, die Einigung zwischen der Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Sarkozy vom 20. Juli, die zwei Tage später zum EU-Beschluß erhoben wurde, war keine Beendigung der Krise. Es war nur ein weiterer Schritt im Ausbau der deutschen Vormachtstellung.

Die Grundlagen dieser Vormachtstellung konnten schon 2008 halbwegs ausführlich dargestellt werden: Vom Anschluß der DDR zur Stärke des Euro_08. Zum Beginn der Griechenlandkrise mußte dieser Befund nur zusammengefaßt, etwas aktualisiert und zugespitzt werden: Vom Anschluß der DDR zum deutschen Euro_2010. Und heute? So wie das Vertrauen der Privatanleger in die Staatsfinanzen ungebrochen ist, so ist auch die Stellung der bundesdeutschen Wertpapiere als der Benchmark ungebrochen. Und wenn die Zinsen für die Bundesanleihen leicht zunehmen, weil die Konjunktur in Deutschland brummt und Anlagealternativen bereitstellt, dann folgen auch die Leitzinsen der EZB: zunächst am 13. April, dann am 13. Juli – womit der Druck auf die schwachen Euroländer nochmals zunahm.

Es geht dabei nicht allein um finanzielle, sondern um durchaus realwirtschaftliche Erfolge. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung konnte ihre Beilage „Die 100 Größten“ am 6. Juli 2011 mit dem Titel aufmachen „Mit voller Kraft aus der Krise“. Um dann im Text auszuführen:
„Die deutschen Unternehmen sind stark – und gestärkt – aus der Krise hervorgegangen. Alle Befürchtungen über eine lang anhaltende und nur über einen längeren Aufschwung wieder auszugleichende Krise haben sich nicht bewahrheitet. Die meisten deutschen Unternehmen stehen heute gemessen am Umsatz, am technischen Stand ihrer Produkte, an der Effizienz und der Zahl ihrer Beschäftigten besser da als vor der Krise. Die Krise wurde genutzt.“ Die Faz interessiert sich nun einmal etwas weniger für Niedriglöhne und Arbeitszwang, genauer gesagt: nur insofern, als sie für den Erfolg der deutschen Unternehmen von Bedeutung sind.

Wer in der EU aus einer Position der Stärke agieren konnte, das zeigte nichts besser als die deutsche Forderung nach einer Beteiligung der privaten Gläubiger an der Stabilisierung der griechischen Staatsfinanzen. Nicht, daß die Bundesregierung plötzlich eine Abneigung gegen Banker und Spekulanten entdeckt hätte. Sie wollte nur den Druck der Märkte auf die schwächeren Euro-„Partner“ voll ausreizen. Seit dem Eintritt in die Eurozone hatten sie kaum mehr höhere Zinsen für ihre Staatsschulden zahlen müssen als die Bundesrepublik. Welch eine Ungerechtigkeit! Nun, da die Gläubiger Verluste befürchten müssen, versuchen sie, dies in von ihnen gezahlten Marktpreisen zu berücksichtigen: nicht die Bundeswertpapiere, wohl aber die Papiere aus Spanien, Italien und sogar Frankreich gerieten unter Druck. So wissen die Partner nun, was zu tun ist: Sich ein Beispiel nehmen am deutschen Erfolg und Gefolgschaft üben: Sparprogramme in Italien, Schuldenbremse in Frankreich.

Zweifellos haben die Tea Party in den USA und die Bundesregierung viel, vielleicht sogar sehr viel riskiert. Doch sie wußten dabei das große Geld an ihrer Seite. Jeden Börsentag haben Geldvermögensbesitzer aus aller Welt mit ihrem Handel in US-Staatsanleihen und deutsche Bundeswertpapiere ihr Zutrauen in den erfolgreichen Imperialismus dieser beiden Staaten unter Beweis gestellt. Deshalb hinkt der Vergleich der US-Medien: Frau Merkel und die Tea Party haben nicht wirklich „chicken“ gespielt. Sie wußten, wer ihnen Platz machen muß.

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