Ein Nachruf auf Winfried Wolf. MieterEcho 433
Für eine kurze Zeit hatte es so ausgesehen, als ob die Krankheit Winfried, „Winnie“ Wolf noch eine zweite Chance lassen würde. Und wenn er auch nicht sicher war, was er noch realisieren konnte, verfolgte er weiter alte und neue Projekte. Doch am 22. Mai 2023 ist er in Berlin gestorben. Ein entschiedener Linker, ein Kämpfer, ein vielseitiger und mit Lust effektvoller Autor.
Dabei war ihm bewusst, dass man die eigene politische Wirkung zwar beeinflussen, aber nicht allein gestalten kann. In vielen Rückblicken wird Winfried Wolf als linker Verkehrsexperte gewürdigt. Immer wieder offen für neue Themen und Konflikte versuchte seit den Siebziger Jahren eine Brücke zwischen der Arbeiterbewegung und den damals neuen ökologischen Bewegungen zu schlagen. Als einer der ersten hatte er sich in den frühen Achtzigern einer systematischen Kritik der Autogesellschaft und den Möglichkeiten der schienengebundenen Mobilität zugewandt. Straßenbahn und Eisenbahn haben ihn begeistert. Der Rückzug auf eine rein sachliche Kritik war seine Sache nicht. Deshalb war er unerbittlich in seiner Polemik gegen Verkehrsunternehmen und Verkehrspolitik. Bei Ernest Mandel marxistisch geschult fragte er nach den ökonomischen Grundlagen einer für Mensch und Natur zerstörerischen Entwicklung, warum und wie Staat und Kapital im Verkehrssektor kooperieren. Die Bewegung gegen Stuttgart 21 war ihm vom Anfang an ein Herzensanliegen. Wie alle seine Leidenschaften hat er sie intensiv und ausdauernd gepflegt.
Aber das Lob des Verkehrsexperten zeigt auch, dass er seit mehr als 20 Jahren mit seinen anderen Schwerpunkten und Interessen in der Öffentlichkeit nur noch selten Resonanz fand. Als 68er war er Trotzkist geworden und war der Wirtschaftsexperte der Gruppe Internationaler Marxisten. Die Untersuchung der internationalen Krisen des Kapitals sollte die Voraussetzungen für eine revolutionäre Politik klären; die Kritik des Stalinismus Fehler und Verbrechen im Namen des Kommunismus verhindern.
Immer wieder neu angefangen
Die Aussage Rosa Luxemburgs: „Sozialismus oder Barbarei!“ war für ihn kein schmückendes Zitat für Sonntagsreden, sondern eine Lebenshaltung. Als der Ostbock, den er immer kritisiert hatte, 1989 zusammenbrach, gab er seine Ziele nicht auf sondern suchte nach immer neuen Möglichkeiten politischer Arbeit. In der Ausweitung des kapitalistischen Herrschaftsbereiches nach Osten und China sah er die Grundlage für den Erfolg der langen neoliberalen Welle.
Kein Mensch ist unermüdlich. Wer sich für die Unterdrückten und Ausgebeuteten einsetzt steht nur selten auf der Seite der Sieger. Konflikte, Enttäuschungen und tiefe Zweifel waren Winfried Wolf nicht fremd. Sie waren die andere Seite zum Enthusiasmus und der Hoffnung, mit der er neue Projekte begann. Seine Arbeitsweise half ihm dabei, nach Niederlagen immer neu anzufangen: der nächste Artikel, das nächste Buch, das nächste Heft der Zeitung. Seine Vorstellung von einem politischen Kollektiv war nicht eine bürokratische Massenorganisation, sondern eine funktionierende Redaktion mit ihm als Chef vom Dienst. Seine Vorstellung einer Kampagne war eine Zeitung mit 8 Seiten, die mobilisieren und aufklären soll, über Krieg und Frieden oder die aktuelle Streikbewegung der Gewerkschaft der Lokomotivführer. Seit Anfang 2008 hatte er mit „lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie“ sein ganz eigenes Blatt. Pünktlich zum Beginn der Weltwirtschaftskrise erschien das erste Heft. Auf den Seiten der Quartalsschrift und in den vielen Extraheften wird die Weite seiner Interessen und die Vielfalt seiner Kontakte deutlich. Leider wird das Projekt den Tod seines Chefredakteurs nicht überleben.
Winnie Wolf war sich nie zu schade für lange Reisen zu vielen großen oder kleinen Veranstaltungen. Zu einer solchen hatte ihn 2015 die Berliner Mietergemeinschaft im Rahmen der Reihe „Was braucht der Mensch? – Soziale Infrastruktur jetzt!“ eingeladen: Grundrecht Mobilität. Seinen Vorschlag einer ganz anderen Berliner Verkehrspolitik hatte er schon 1994 in einem Buch vorlegt: Berlin – Weltstadt ohne Auto? Eine Verkehrsgeschichte 1848-2015 (Köln). Er hielt eine andere Welt nicht nur für machbar. Er hat Vorschläge gemacht, wie sie aussehen könnte.
Sebastian Gerhardt, Autor und 2012-2017 Geschäftsführer bei lunapark21.