Konflikte um die Arbeitsbedingungen in Museen und Gedenkstätten – vor Corona und mittendrin
Erstveröffentlichung: graswurzelrevolution 460, Sommer 2021.
Wenn die einmal moderne Theorie richtig wäre, wonach es sich bei der Kultur um ein Zeichensystem, um einen „Text“ handeln würde, dann hätte die Pandemie ihr nur wenig anhaben können: Zeichen erkranken nicht und sind auch nicht ansteckend. Tatsächlich aber gibt es nur Kultur, wo Menschen aktiv sind. Und damit wird es schwierig, nicht nur in Schulen. Zwar konnten sich im Lockdown elektronische Massenmedien, Streamingdienste und die sogenannten sozialen Netzwerke einer großen Nachfrage erfreuen, doch Theater und Kinos, Bibliotheken und Bildungszentren, Museen, Gedenkstätten, Konzertsäle blieben geschlossen. Schon vor den Schließungen waren die Reiseeinschränkungen an den sinkenden Besucher*innen-Zahlen spürbar.
Was auf der einen Seite ein Verlust an Erfahrungen und Zerstreuungen, an Unterhaltung und neuen Perspektiven darstellt, ist auf der anderen Seite der Ausfall der Erwerbstätigkeit. In den Medien macht es sich dann gut, wenn bekannte Künstler*innen und „Kreative“ in den Mittelpunkt gestellt werden: Prominenz ist prominent. Doch manche Museen stellen keine Skulpturen, Gemälde oder Installationen aus, sondern behandeln die Natur- oder Industriegeschichte. Selbst wenn sie Kunst zeigen, dann sind die Kuratorinnen oder Kuratoren der Ausstellungen immer noch keine anerkannten Künstler, höchstens Überlebenskünstler. Leider wird nicht alle Kreativität auch von der Künstlersozialkasse anerkannt. Kultur ist mehr als Kunst. Und es braucht zur Kunst außer Künstler*innen noch Beleuchter, Tontechniker oder Kameraleute genauso wie die outgesourcten Kolleginnen und Kollegen aus dem Reinigungsgewerbe und dem Wachschutz.
Probleme vor Corona: Ein Offener Brief
Wenn Menschen eine Ausstellung besuchen, dann gehen sie davon aus, dass die Leute, die dort arbeiten, auch dort angestellt sind. Das ist in der Regel nicht der Fall. Anfang März 2019 trafen sich in Berlin einige Kolleginnen und Kollegen, die mit den Arbeitsbedingungen in den Museen und Ausstellungen der Hauptstadt unzufrieden waren. Sie kamen aus verschiedenen Bereichen, die sonst eher getrennt betrachtet werden: Freie und Angestellte, Servicekräfte und Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Kurator*innen und Bildungsreferent*innen, Leute aus NS-Gedenkstätten und DDR-Gedenkstätten und „normalen“ Museen aller Art, Ost und West und länderübergreifend. Gemeinsam hatten sie, dass sie in Museen und Gedenkstätten arbeiten und dass ohne diese Arbeit die Einrichtungen nicht funktionieren würden – auch wenn die Ausgaben für viele im Haushalt nicht als Personalmittel, sondern als Sachmittel verbucht werden.
Einige Aktive hatten Erfahrungen aus gewerkschaftlicher Arbeit in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) oder der Freien Arbeiter*innen Union (FAU). Wobei in ver.di organisierte Kolleg*innen auf mindestens vier verschiedene Fachbereiche verteilt sind: Bildung, Wissenschaft und Forschung / Besondere Dienstleistungen / Bund und Länder / Medien, Kunst und Industrie. Die Zuordnung ist öfter ziemlich willkürlich, weil alle im Laufe der Zeit an verschiedenen Stellen in verschiedenen Jobs tätig sind. Erfahrungen mit Konflikten auf Arbeit hatten alle. Nach einigen Diskussionen hatte das Netzwerk einen Namen: „Geschichte wird gemacht“. Im Ergebnis der langen Gespräche über die Lage am Arbeitsplatz blieb die unvermeidliche Frage übrig: Was tun? Ein Offener Brief formulierte die gemeinsame Einschätzung der Situation:
Viele Bereiche der notwendigen Dienstleistungen – von der Besucherbetreuung über die Reinigung bis zum Wachschutz – sind schon vor Jahren outgesourct worden und unterliegen bei jeder Neuausschreibung einem neuen Kostendruck und neuer Unsicherheit. Das Wissen dieser Kolleginnen und Kollegen um die Bedingungen vor Ort wird gering geschätzt. Die Einkommen liegen häufig nur knapp über den gesetzlichen Mindestentgeltvorschriften.
Damit Erinnerungsorte und Geschichtsmuseen als Lernorte wirksam sein können, müssen zunächst Inhalte und Vermittlungsformate erarbeitet werden. Pädagogische und museumsfachliche Angestellte sind aber oft zu niedrig eingestuft und daher schlecht bezahlt. Regelaufgaben der Ausstellungsarbeit werden regelmäßig aus Drittmitteln oder Sonderprogrammen befristet finanziert. Auch diese befristet angestellten Kolleg*innen werden für einfach austauschbar gehalten. Tatsächlich müssen sie kurzfristig zwischen Arbeitslosigkeit, Selbständigkeit und verschiedenen Jobs wechseln. (…)
Viele Referent*innen und ein Teil des wissenschaftlichen Personals sind auf Basis von Werk- oder Honorarverträgen für ein geringes Entgelt tätig. Soziale Absicherung sowie Möglichkeiten der betrieblichen Mitbestimmung und der Einflussnahme auf die langfristige Programmgestaltung werden ihnen verwehrt. In verschiedenen Einrichtungen sollen sie jederzeit verfügbar sein. Die Vorbereitung von Angeboten und zuweilen auch von Konzepten müssen sie außerhalb der bezahlten Honorartätigkeit selbst organisieren. Die in oft jahrelanger Tätigkeit erworbene Qualifikation wird nicht anerkannt, sondern vorausgesetzt. Als Freiberufler*innen müssen sie mit dem Unverständnis der Verwaltungen und Behörden für ihren Status umgehen. In Sozialversicherungs- und Steuerfragen sind sie mit Regelungen konfrontiert, die für ihren Status gar nicht gemacht wurden. Die Honorarhöhen spiegeln weder die Anforderungen an die Arbeit noch die sozialen und wirtschaftlichen Risiken. (…)
Wir brauchen Arbeitsbedingungen, die uns auf Basis der Anerkennung unserer fachlichen Leistungen eine sichere Existenz ermöglichen. Grundlagen hierfür sind eine adäquate Bezahlung, soziale Absicherung und die Möglichkeit der Mitbestimmung in Form von Interessenvertretungen.(1)
Auf diese Beschreibung folgte eine detaillierte Liste von Forderungen für die verschiedenen Bereiche und Statusgruppen. Der Offene Brief sollten den Kulturminister*innen in Berlin und Brandenburg sowie der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien übergeben werden – allerdings erst, wenn mindesten 100 Kolleginnen und Kollegen bereit waren, ihn namentlich zu unterzeichnen. Die Zielmarke ergab sich nicht nur aus dem Wunsch nach öffentlicher Wirkung, sondern auch aus der Überlegung, dass ein gewisser Schutz gegenüber unzufriedenen Chefs und Auftraggeber*innen nötig sein würde.
Bei der Übergabe des Briefes am 21. Januar 2020 zeigten sich die Vertreter*innen der Adressat*innen demonstrativ wohlwollend gegenüber den geäußerten Anliegen, aber auch etwas unwillig über die gewählte konfrontative Art der Kontaktaufnahme: Ein Offener Brief öffentlich übergeben, das „hätte doch nicht sein müssen“, man könne doch „über alles reden“. Bis dahin hatten 220 Leute unterschrieben, vor allem aus Berlin und Brandenburg. An einigen Arbeitsstellen gab es dann die Frage, ob der Offene Brief etwa als Kritik an den Museen und Gedenkstätten, personifiziert durch die Leitungen, zu verstehen sei – wobei auf die angestellten Kolleginnen und Kollegen mehr Druck ausgeübt wurde, als auf die freischwebenden Freien. Dennoch hat niemand seine Unterschrift zurückgezogen. Im Laufe der Zeit kamen immer wieder Unterstützer*innen dazu, von Bayern bis Bremen. Heute sind es gut 400.
Von Lockdown zu Lockdown
„Ich bin gesund, aber meine Aufträge sind zu 100% weggebrochen.“
„Ja, ich habe eine halbe Stelle (befristet), mit der ich meine Basics zahlen kann, brauche aber Einkommen als Freiberufler. Das fällt nahezu komplett weg.“ (Wortmeldungen aus einer Umfrage)
Bevor die erste Runde von Gesprächen mit den Verantwortlichen absolviert war, begann Mitte März 2020 der erste Lockdown. Zwei rasch organisierte Umfragen im Netzwerk zeigten, wie wenig von den vermeintlichen Hilfsprogrammen bei den Betroffenen ankam:
Trotz aller positiven Gerüchte gilt bisher für die meisten betroffenen Angestellten – in der Regel Kolleg*innen im Servicebereich – die jeweilige Kurzarbeiterregelung, d.h. 60 Prozent (bzw. 67 Prozent bei Eltern). 67 Prozent von 1.800 Euro sind noch 1.200 Euro. Weitergehende Regelungen sind in der Diskussion, aber nicht beschlossen.
Es wird über umfangreiche Kredithilfen gesprochen – an denen dann aber auch entsprechende Rückzahlungsverpflichtungen hängen. Für Freiberufler bleibt am Ende nur die Grundsicherung für Selbständige (Berliner Senat, verdi) – auch wenn unklar ist, wie z.B. Studierende mit diesem Vorschlag umgehen sollen. Es gibt durchaus Kritik: Bei Simone Barrientos von der LINKEN, Sven Lehmann von den Grünen wie auch aus der Berliner CDU : „Es bringt nichts, Honorar- und Zuwendungsempfänger reihenweise in die Jobcenter zu treiben. Der unsichere Zustand muss so schnell wie möglich beendet werden. Die notwendigen Gelder sind im Haushalt von Berlin und seiner Bezirke vorhanden, dürfen aber nicht ausgezahlt werden. Die Krise fordert rasches und bürgernahes Handeln.“ (Cornelia Flader, Bezirksstadträtin Treptow-Köpenick). Tatsächlich sind in den Etats von Bezirksämtern, Museen und Gedenkstätten z.B. die Gelder für Honorarkräfte eingestellt – sie müssten nur sinnvoll freigegeben werden.(2)
So hart der erste Einschnitt aber auch war, nach 3 Monaten versuchten die Kultureinrichtungen im Sommer 2020 wieder zu einer Art Normalbetrieb zurückzukehren, nur jetzt mit Masken und Hygienekonzepten. In dieser Atempause plante das Netzwerk für den Herbst ein Arbeitstreffen, um die nächsten Schritte gemeinsam zu diskutieren. Als der Termin Anfang Oktober heran war, standen die meisten Auftraggeber schon wieder vor der nächsten Schließung. Durch die Diskussionen zog sich das Balancieren zwischen grundlegender Unsicherheit und aktuellen Befürchtungen. Dabei gelang der Auftakt zu einer bundesweiten Vernetzung.(3)
Im zweiten Lockdown gab es endlich auch Bundesmittel für den Lebensunterhalt von Soloselbständigen. Werk- und Honorarverträge, Online-Formate, Ausfallhonorare – was während des ersten Lockdowns noch die Ausnahme war, wurde langsam zur Regel. Zumindest für diejenigen, die noch auf dem Radar erschienen. Das waren nicht mehr alle. Die Hoffnung fehlte, dass es auch wieder weitergeht. Viele haben das Arbeitsfeld Kultur verlassen, denn die Botschaft ist klar: Ihr werdet nicht gebraucht. Ein Jahr nach der Übergabe des Offenen Briefes fiel ein vorläufiges Resümee der Initiative skeptisch aus:
Viele Verbesserungen haben wir nicht erreicht, aber wir wurden gehört. Dann kam Corona und tatsächlich hat kaum eine Politikerin oder Politiker vergessen, auf die schwere Lage insbesondere der Soloselbständigen hinzuweisen. So weit, so gut. Oder auch nicht. Die Vorstellung, dass dieses Land doch mit HartzIV ein ausreichendes soziales Netz hat, ist auch nach einem Jahr der Stornierungen und Einschränkungen nicht wirklich gebrochen. Die verschiedenen Nothilfen sind genau das: zeitweilige Notbehelfe.
Die sogenannten Überbrückungshilfen sind genau das nicht, was der Name verspricht: das andere Ufer ist noch nicht in Sicht. So werden die Kolleginnen und Kollegen eben doch auf das Jobcenter verwiesen. Eher aus Gründen einer gutbürgerlichen Wertschätzung für Selbständige und Kultur im Allgemeinen ist die Kritik daran noch nicht ganz verstummt. Was dann tatsächlich bei der Antragstellung passiert, welche Unterlagen nötig sind und wie lange es auch hier dauert, das bleibt im Dunkeln. Ebenso bleibt im Dunkeln, wie wir uns auf verschiedenen Wegen still und leise durchwursteln, unsere Reserven plündern und hoffnungsfroh oder besorgt auf die Zahlungsfähigkeit unserer Mitbewohner schauen.(4)
Basis und Überbau
Im Dezember 2020 bezog der Landesmuseumsbund Berlin deutlich Position:
In der Pandemie zeigen sich einige strukturelle Probleme wie unter dem Brennglas:
Die dünnen Personaldecken – insbesondere im Bereich der Bildung und Vermittlung – machen die Bewältigung des zusätzlichen Aufwands für viele Museen zum Kraftakt. Neben dem hohen Innovationsbedarf müssen die Museen mit der fehlenden Planungssicherheit umgehen. Es darf nicht zu Personalkürzungen kommen; Kurzarbeit ist keine Lösung.
Die Digitalisierung erfordert einen umfassenden Transformationsprozess. In vielen Museen fehlt es neben projektunabhängigem Personal, das sich mit Zeit und Know-How dieser Aufgabe widmen kann, an einfachsten technischen Voraussetzungen. Digitale Kompetenzen müssen erarbeitet, erprobt und weitervermittelt werden. Dafür braucht es zielgerichtete und leichtzugängliche Fortbildungsangebote.
Viele freie Mitarbeiter*innen und Soloselbständige kämpfen mit hohen Einnahmeverlusten. Es besteht die Gefahr, dass diese der musealen Bildungslandschaft langfristig verloren gehen – und mit ihnen wichtige Erfahrungen und Wissen über Institutionen, Inhalte und Besucher*innen. Unter anderem Initiativen wie „Geschichte wird gemacht“ wiesen bereits vor der Pandemie auf zahlreiche Probleme in der Zusammenarbeit zwischen Museen und freien Mitarbeiter*innen/ Soloselbständigen hin. Hier braucht es dringend nachhaltige Lösungen.(5)
Doch es ist fraglich, ob die Botschaft vernommen wird. Wenn nach der Pandemie Kulturpolitiker*innen wieder Ausstellungen eröffnen, dann werden sie dort wieder nur von den Leitungen herumgeführt werden: Sie kommen nicht als schlichte Besucher*innen, sondern als umworbene Ehrengäste. Der Alltag, die Arbeit im Museum interessiert sie nur als Kostenpunkt in den Haushaltsberatungen. Über Jahre haben – von der Politik befördert – ein Niedriglohnsektor und prekäre Arbeitsverhältnisse zugenommen. Dann zeigte sich, dass viele Leute nur sehr geringe private Reserven haben, um mit der Krise umzugehen. Auch in außerordentlichen Situationen zeigt sich der Normalzustand, nur in einem besonderem Licht.
Anmerkungen:
(1) https://geschichte-wird-gemacht.org/offener-brief/
(2) https://geschichte-wird-gemacht.org/corona-was-tun-eine-umfrage-des-netzwerkes-geschichte-wird-gemacht/
(3) https://geschichte-wird-gemacht.org/netzwerktreffen-oktober2020/
(4) https://geschichte-wird-gemacht.org/zum-jahrestag-zeitzeugen-in-eigener-sache/
(5) Landesmuseumsbund Berlin, 7. Dezember 2020, https://www.lmb.museum/stellungnahmen/