Nicht nur im Schuldenstreit hat der US-Wahlkampf 2012 schon begonnen
Selten ist eine vielbeschworene Deadline so unbemerkt vorübergegangen wie der 23. November 2011: Ein paar Meldungen teilten mit, dass dem Superkomitee aus 12 Vertretern des US-Parlaments – Demokraten und Republikanern – eine Einigung über den künftigen Abbau der Staatsverschuldung nicht gelungen sei. Noch im Sommer hatte der erbitterte Streit um die Erhöhung der US-Schuldengrenze die Medien und „die Finanzmärkte“ – also die Geldvermögensbesitzer, die man früher auch gern Kapitalisten nannte – heftig bewegt. Doch nun? Gar nichts.
Das liegt zunächst an der Konstruktion des am 2. August verabschiedeten Gesetzes über die Erhöhung der Schuldengrenze. Wohl sollen „automatische Ausgabenkürzungen“ in Kraft treten, wenn sich die staatstragenden US-Parteien nicht über weitere Ausgabenkürzungen einigen können. Aber nicht jetzt, sondern am 2. Januar 2013, einen Tag nach dem Ende der Steuererleichterungen aus der Bush-Ära, und fast zwei Monate nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2012. Eine Zuspitzung des Konflikts wie im letzten Sommer ist bis dahin ausgeschlossen, da die Erhöhung der Schuldengrenze auch bei weiterer Neuverschuldung bis ins Jahr 2013 reichen dürfte. Jetzt hoffen beide Parteien darauf, dass sie mit ihren Vorstellungen zur Ausgaben- und Steuerpolitik im Wahlkampf punkten, und die Gesetzeslage dann ihren Pläne anpassen können.
Für „die Märkte“ gibt es dabei wenig Grund zur Beunruhigung. Schon im Juli hatten sie keine Angst vor einer Pleite der USA gezeigt. Die Kurse der US-Staatsschuldpapiere gaben selbst auf dem Höhepunkt des Konfliktes nicht nach. Ganz anders als Griechenland, Portugal, Spanien oder Italien können sich die USA weiterhin zu geringen Zinsen neue Kredite besorgen. Das Problem bestand in etwas anderem: Relevante Teile des US-Kongress wollten keine neuen Schulden aufnehmen, weil sie nicht nur die staatlichen Gelder falsch eingesetzt sahen, sondern vor allem der Regierung Obama eine prinzipielle Niederlage beibringen wollten.
Schon einmal hatten die Republikaner das Haushaltsrecht genutzt, um Veränderungen der Wirtschafts- und vor allem der Sozialpolitik, damals der Regierung Clinton, herbeizuführen. Auch damals hatte sich eine frisch gewählte republikanische Mehrheit im Kongress gegen einen ungeliebten Präsidenten durchsetzen wollen. Zwischen dem 16. Dezember 1995 und dem 6. Januar 1996 kam es tatsächlich zu effektiven Einschränkungen der US- Administration, weil hunderttausende Beschäftigte der Regierung zwangsweise beurlaubt werden mussten. Die Folgen dieser Kraftprobe waren für die Republikaner ambivalent. Einerseits folgte die Regierung Clinton mit der „welfare reform“ vom Sommer 1996 weitgehend ihren Vorstellungen. Andererseits verloren die Republikaner die Präsidentschaftswahlen im November 1996.
Diesmal stützte sich die harte Haltung der Republikaner im Parlament nicht nur auf ihren Erfolg in den Herbstwahlen 2010. Sie stützt sich auch auf die Ausbildung der Tea Party als einer eigenständigen, erzliberalen Strömung innerhalb der Republikaner. Ihr Slogan: „Starve the biest“ – „Die Bestie (Staat) verhungern lassen.“ Warnungen, etwa des altkonservativen John McCain, die Konfrontation habe sich 1996 bei den Wahlen nicht ausgezahlt, schlugen sie in den Wind. Gedeckt wurde die Tea Party von der größten und einflussreichsten Organisation des Kapitals in der USA, der US Handelskammer: Wohl sollte ein Zahlungsausfall der USA unbedingt vermieden werden, aber die Erpressung der Regierung wurde begrüßt, um „Ausgaben zu reduzieren, die Privatwirtschaft wachsen zu lassen und Jobs zu schaffen.“
Als Gegenleistung für die Erhöhung des Gesamtschuldenlimits haben die Republikaner im US-Kongress ein Austeritätsprogramm durchgesetzt, mit dem ausschließlich über Ausgabenkürzungen ein Beitrag zur Verminderung der US-Neuverschuldung geleistet werden soll. William G. Gale kommentierte in der linksliberalen The Nation: „Die Einigung heißt Ausgabenkürzung und keine Steuererhöhungen. Praktisch heißt das, dass die Last zur Senkung des Defizit den Armen und Normalverdienern auferlegt wird, statt den Gutverdienern und den Reichen.“ Auch wenn alles andere als klar ist, wie und wo genau die 2.400 Mrd. US-Dollar in den nächsten zehn Jahren eingespart werden sollen: Ausgabenkürzungen treffen immer die, die mangels eigenem auskömmlichen Vermögens auf öffentliche Dienstleistungen oder Unterstützung angewiesen sind. Eine der bereits beschlossenen, kurzfristig wirksamen Maßnahmen ist das Auslaufen der verlängerten Arbeitslosenunterstützung zum Ende diesen Jahres – und das bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von knapp 9 Prozent.
Das ist der andere Grund für die ruhige Lage an den Finanzmärkten: Die Generallinie liegt fest. Tatsächlich wird bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr noch über die Ausgestaltung der Austeritätspolitik, aber nicht mehr über die prinzipielle Richtung der US-Haushaltspolitik entschieden werden. Und dies nicht allein wegen der Tea Party. Doug Henwood hat in der Diskussion über den Schuldendeal kurz und drastisch auf das Kernproblem der Linksliberalen in den USA hingewiesen: Es ist naiv zu glauben, dass Obama einfach falschen Ratgebern oder äußerem Druck folgt. Obama hält die Politik der Schuldenreduzierung für grundsätzlich richtig. Und zwar einer Schuldenreduzierung, die nicht auf Kosten der US-Weltgeltung geht, weder im ökonomischen Bereich, noch im militärischen. Änderungen in der Steuerpolitik, keinesfalls aber erweiterte Sozialleistungen gehören zu seinem Programm.
Anfang September legte Obama dem US Kongress einen „Jobplan“ vor, um das Wachstum mit keynesianischen Mitteln zu unterstützen: Unternehmen und arbeitende, nicht etwa arbeitslose US-Bürger sollen entlastet werden. Chancen zur Annahme hatte der Plan nicht, da er auch Steuererhöhungen für Reiche vorsah: Genau das, was die Republikaner mehrheitlich strikt ablehnen. Ob sich aber diese Position über den nächsten Wahltermin hinweg halten lässt, ist offen.
Der Wind dreht sich. Wohl ging noch der Konflikt im Bundesstaat Wisconsin um die Gewerkschaftsrechte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst verloren, trotz heftiger, von Februar bis Juni andauernder Proteste. In Ohio aber gelang es in einer Kampagne von April bis August, ein Referendum über ein ähnliches Gesetz zu erreichen, das in einem Punkt noch über Wisconsin hinausging: Hier sollten auch die Rechte von Feuerwehrleuten und Polizisten eingeschränkt werden. Angesichts der guten Organisation und der hohen Mobilisierungsfähigkeit gerade dieser Gruppen ein grober Fehler. Gestützt auf die Gewerkschaften und die Demokraten brachten die Gegner des Gesetzes unter dem Titel „We are Ohio“ 30 Millionen Dollar und 17000 Freiwillige zusammen, die vor der Abstimmung am 8. November von Tür zu Tür gingen. Und die breiten, positiven Reaktionen auf „Occupy Wall Street“ signalisierten den Stimmungswechsel. Schließlich ging das Gesetz mit nur 39 Prozent Ja- gegen 61 Prozent Nein-Stimmen unter, und das bei einer Wahlbeteiligung von immerhin 46 Prozent (Weitere Infos: Labor Notes). Am gleichen Tage scheiterten die Republikaner in anderen Bundesstaaten mit Gesetzen zur Einschränkungen des Wahlrechts (Maine) und und zum Verbot von Abtreibung und Empfängnisverhütung (Mississippi). Gerade ein Jahr nach ihrem Triumph bei den Midterm-Elections im Herbst 2010 ist die Tea Party kein Selbstläufer mehr, im Gegenteil.
Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Entwicklung Obama stützen könnte. Zweieinhalb Jahre nach dem offiziellen Ende der Rezession im Juni 2009 (www.nber.org) haben sich nicht nur die Unternehmensgewinne erholt, sondern es geht langsam – sehr langsam – der Druck auf dem Arbeitsmarkt zurück. So könnte es sein, dass sich das Szenario von 1996 wiederholt: Die Durchsetzung einer harten Austeritätspolitik durch einen wiedergewählten Präsidenten der Demokraten.
Mit den Hoffnungen, die Barack Obama Anfang 2009 ins Amt gebracht haben, hat die Zurückweisung der gröbsten Zumutungen der Tea Party allerdings nicht mehr viel zu tun. Nur könnte gerade darin eine Chance liegen. Doug Henwood hatte angesichts der grassierenden „Obamamania“ im Frühjahr 2008 daran erinnert, dass Obama viele seiner Wähler zweifellos werde enttäuschen müssen – und wie groß das politische Potential einer breiten Enttäuschung über die Demokraten ist: Die Erfahrungen mit John F. Kennedy trugen zur Rebellion der 60er Jahre bei, die Proteste von Seattle 1999 wären ohne die Clinton-Ära nicht möglich gewesen. Eine Ent-täuschung bedeutet vor allem, dass man eine Täuschung endlich los ist und ohne sie die Welt genauer sehen kann. Deshalb schloss Doug Henwood damals: „Noch nie bot die Möglichkeit einer Enttäuschung so viel Hoffnung. Das ist nicht, was der Kandidat mit diesem Wort meint, doch die Geschichte kann ein großer Ironiker sein.“
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Dieser Text ist steht im neuen Heft 16 der Lunapark21 auf den Seiten 14-16. Die Ausgabe geht gerade in den Vertrieb, d.h. an die Abonnenten und ausgewählte Kioske. Und während es manchmal etwas dauert, bis unsere Website aktualisiert ist, kann man hier schon heute sehen, was im Heft alles drin ist: Das Inhaltsverzeichnis der aktuellen Ausgabe!