Unterschiedliches Interesse

Welche Diskriminierung die Presse in Israel entdeckt – und was ihr entgeht

Schon vor Weihnachten fand die FAZ ein Thema, das seither in weiteren Medien aufgenommen wurde: Die Konflikte um die Diskriminierung von Frauen durch ultra-orthodoxe Juden in Israel. Unter dem Titel „Ohne Stimme und ohne Gesicht“ schrieb Hans-Christian Rössler in der FAZ vom 20. Dezember über „Geschlechtertrennung in Jerusalem“. Und nach den Zusammenstößen in Beit Shemesh hat es das Thema sogar in die New York Times geschafft: Die für Ultraorthodoxe unzureichend züchtige Kleidung eines kleinen Mädchens auf dem Schulweg war der Ausgangspunkt. Selbst die Leserinnen und Leser der Welt erfahren nun, wie Frauen im modernen Israel zum Schutze ihrer Ehre von Männern ferngehalten werden, daß sie in ultraorthodoxen Vierteln nur im hinteren Teil des Busses platznehmen und auch auf dem Bürgersteig von den Männern getrennt bleiben sollen. Auch über die Proteste religiöser wie säkularer Jüdinnen und Juden gegen solchen Fundamentalismus wird berichtet – wie über die Stellungnahmen des Regierungschefs Benjamin Netanyahu, der den Anspruch einer Minderheit auf den öffentlichen Raum zurückweisen will.

Die Presse macht ihren Job, leider auch darin , daß man sich für manches nicht sehr interessiert. Der politische und soziale Hintergrund der Konflikte fehlt. Kein Wort über das Scheitern der Protestbewegung des Sommers, kein Hinweis auf die sozialen Umbrüche in Israel, keine Diskussion des israelischen Staatsbürgerschaftsrechtes und der Besatzungspolitik. Die Autoren kommen gar nicht auf die Idee, daß die Diskriminierung von Frauen nicht von der Diskriminierung der Palästinenser, der Beschränkung der Meinungsfreiheit, vom Druck auf das Oberste Gericht Israels und die staatsunabhängige Zivilgesellschaft getrennt werden kann. Kein Gedanke daran, daß das Auftreten der Ultraorthodoxen von der Regierung und der Parlamentsmehrheit nicht einfach geduldet, sondern in weiten Teilen erst ermöglicht wird. Wer darüber etwas erfahren will, muß ein wenig über den Tellerrand der deutschen oder internationalen Qualitätspresse schauen: Schon Mitte Dezember hatte Michal Schwarz in Challenge nicht nur eine Zusammenstellung der Vorstöße der israelischen Rechte gegen die Bürgerrechte veröffentlicht, sondern auch – in heftiger Polemik – zu dieser Politik Stellung bezogen:

Ironischerweise wird die israelische Regierung den Regimen immer ähnlicher, die sie ablehnt und verachtet. Wenn das Gesetz angenommen wird, daß Israel als Staat des jüdischen Volkes bestimmt und Arabisch nicht mehr als offizielle Sprache zuläßt, wenn Frauen aus der Öffentlichkeit verbannt werden und wenn Kritik unmöglich wird, ohne Gefahr, verklagt zu werden, wenn man sich nicht mehr an den Obersten Gerichtshof wenden kann und die Siedler ihre „Vergeltungsaktionen“ gegen Palästinenser fortsetzen: Wodurch unterscheidet sich Israel dann noch von den arabischen Regimen, die es als so unterlegen ansieht? …
Der trüben Welle neuer Gesetze wird es nicht gelingen, die Welt nach den Vorstellungen der israelischen extremen Rechte umzumodeln. Sie wird nur Israel weiter isolieren und die Rechte seiner Bürger beschneiden. Um das zu stoppen, muß Netanyahus Regierung beendet und eine reale politische Alternative geschaffen werden, die eine feste Brücke zur arabischen Welt schlagen kann, die fest und eindeutig die Besatzung ablehnt und eine fortschrittliche, egalitäre Sozialpolitik unterstützt.

Der gesamte Text unter dem Titel „Wie eine Herde Elefanten“ nun auch hier.

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