Die Demonstrationen vom 3. September 2011 haben eines klargemacht: Auch nach den Anschlägen in Südisrael und den folgenden israelischen Angriffen ist die Sozialprotestbewegung in Israel ungebrochen lebendig. Als Reaktion darauf ist auf der Website www.challenge-mag.com ein Artikel von Yacov ben Efrat erschienen: Wohin geht es? Die Demonstration vom 3. September. Nicht zuletzt geht es ihm in diesem Artikel darum, den revolutionären Anspruch der ODA in der aktuellen Situation zu behaupten. Das wirft Fragen auf, die über den unmittelbaren Gegenstand des Beitrags hinausgehen.
Von außen ist es immer schwer zu beurteilen, wieweit politische Losungen und praktische Vorschläge den Konflikten eines Landes angemessen sind. Die Zeit, wo sich die Führung der Komintern als Generalstab der Weltrevolution ansah, ist vorbei. Und selbst in den besten Zeiten der III. Internationale war die „Konzeption der organisierten Weltrevolution, ruhend auf der theoretischen Erfassung der Gesetzmäßigkeit der Menschheitsentwicklung“ nichts anderes als eine Utopie, eine nicht realisierbare Vorstellung: „Der logische Widerspruch der Leninschen Revolutionskonzeption ist evident: je turbulenter und gewalttätiger die Zeit wird, um so geringer werden die Möglichkeiten zu umfassender Information und zur theoretischen Analyse und damit zur revolutionär-strategischen Anleitung und zur bewußten Organisierung der Revolution.“(Theo Pirker, Utopie und Mythos der Weltrevolution) Später blieb von dieser Utopie nur mehr ein Mythos zur Legitimation der stalinschen Außenpolitik.
Wenn ich trotzdem in zwei Punkten Einwände gegen den Artikel formuliere, so geht es mir nicht darum, von einer virtuellen Kommandohöhe aus Zensuren in klassenkämpferischer Rechtgläubigkeit zu verteilen. Sondern es geht um die Hervorhebung unterschiedlicher Positionen, die auch hierzulande nicht ausdiskutiert sind.
1) Die Überlebensfähigkeit des Kapitalismus ist nicht zu bestimmen, wenn immer wieder nur auf die Bereiche der Weltwirtschaft geschaut wird, die – wie aktuell die USA – mit ihren Krisen voll auf zu tun haben: Allein von den aktuellen Verlierern der Konkurrenz her ist dieses System nicht zu erklären. Auch die Gewinner gehören zum Bild dazu, im Großen etwa die Kapitalisierung Chinas, im regionalen europäischen Rahmen die Konsolidierung der deutschen Vorherrschaft.
2) Ist das Ende des Artikels vielleicht propagandistisch gemeint, wird aber wahrscheinlich propagandistisch nicht funktionieren: Die Forderungen nach „sozialer Gerechtigkeit“ und einem entsprechenden Sozialstaat haben mit dem Verlangen nach sozialistischer Umgestaltung wenig gemeinsam. Denn im Kern der Vorstellung sozialer Gerechtigkeit steckt die Anerkennung der heute bestehenden Teilung der Arbeit in Chefs und Beschäftigte, in kommandierende und kommandierte Arbeit – nur daß man mit seiner Arbeit auch einen anständigen Lebensunterhalt verdienen möchte. Sozialismus fängt da an, wo Leute solche Arbeitsteilung ablehnen und ihre Lebensumstände gemeinsam selbst bestimmen wollen. Wo sie keine Forderungen mehr an die Chefs und den Staat formulieren, sondern beide überflüssig machen. Vielleicht ist das keine ganz aktuelle Aktionslosung – aber es hilft nicht viel, wenn man die eigenen Positionen zugunsten kurzfristiger Erfolge verunklart. Die Erfahrungen mit der „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ hierzulande sprechen da eine deutliche Sprache: Die Sehnsucht nach einer Politik für alle war nicht der Weg zur sozialen Befreiung, sondern nur ein Element bei der Durchsetzung einer neuen sozialliberalen Parlamentspartei.