Ökonomiekritik

An den Hochschulen des Ostblocks kursierte eine Bemerkung, die nicht als bloßer Witz über die vorgeschriebene Ausbildung im „Marxismus-Leninismus“ mißverstanden werden sollte. Eigentlich drückte sie nur leicht zugespitzt eine Erfahrung aus, die von Lehrenden wie Studierenden gleichermaßen gemacht werden musste:

Die politische Ökonomie des Kapitalismus ist schwer zu unterrichten, aber leicht zu verstehen. Die politische Ökonomie des Sozialismus ist dagegen leicht zu unterrichten, aber gar nicht zu verstehen.

Denn den Maßstab in der „politischen Ökonomie des Kapitalismus“ setzten die Bände 23 bis 25 der Marx-Engels-Werkausgabe, die das „Kapital“ von Marx enthielten. Schwer zu unterrichten, aber – wenn vielleicht auch nicht gerade leicht – doch zu verstehen. Dagegen wurde der Maßstab in der „politischen Ökonomie des Sozialismus“ von kleinen Broschüren der Parteipresse gesetzt, grundlegend etwa der Stalinschen kurze Kurs der „Ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR“, im Alltag die jeweils aktuellen Reden der zuständigen General- oder sonstigen Sekretäre. Sicher einfach vorzutragen – aber eben gar nicht zu verstehen. Eine kurze Beschreibung dieses Alltags und ein Versuch zur Erklärung findet sich hier: Die Hebelwirtschaft der DDR – Zur Kritik einer moralischen Ökonomie.

Nach 1989 hat sich der Kreis der Menschen, die nicht nur den ML, sondern auch die marxsche Kritik der politischen Ökonomie komplett der Ideologiegeschichte überlassen wollen, nochmals kräftig erweitert. Und sicher sind manche Konstruktionen – wie etwa die beliebte Formel von der „Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen“ – nicht tragfähig. Warum ich denke, daß aber am marxschen Vorhaben einer Verbindung von wissenschaftlicher Analyse und Befreiung festzuhalten ist, das habe ich in verschiedenen selbständigen Artikeln angedeutet, die weiter unten im Archiv zu finden sind. In einem Beitrag für den Band „Über Marx hinaus“ von Karl Heinz Roth und Marcel van der Linden finden sich 2009 diese Überlegungen zusammengefaßt:„An und für sich Freiheit“.

Die Ausführung einer solchen Skizze ist eine sehr andere Sache. Parallel zu den Diskussionen über die Weltwirtschaftskrise 2007-2009 verfolge ich in mehreren Anläufen ein umfangreicheres Projekt:

Keine Revolution ist auch keine Lösung.
Von der US-Immobilienkrise zur Neuaufteilung der Weltmärkte?
Zur Kritik der politischen Ökonomie des XXI. Jahrhunderts

Davon liegen bisher – in für mich halbwegs befriedigender Form – nur die Einleitung und die ersten drei von acht Kapiteln vor. Weil die Arbeit aber nicht für die Ewigkeit, sondern für die Gegenwart geschrieben ist, werde ich nicht bis zu einer unsicheren und fernen Vollendung warten, sondern alles Schritt für Schritt hier veröffentlichen. [Plan]

Statt einer Einleitung: Unwissen ist Ohnmacht
1. Epochenumbruch! Welcher Epochenumbruch?

1.1. Veränderungen gewichten: Wo sind die „Früchte des Aufschwungs“ geblieben?
1.2. Welcher Epochenumbruch? Eine Erinnerung an 1989
1.3. Widersprüche – Mängel oder Lebenselixier des Kapitalismus?
1.4. Die Lohnarbeit: Von der Wirklichkeit der bürgerlichen Freiheiten
1.5. Lebenslage und Reformismus
[Grafiken zum Kapitel 1]

2. Von der Verbriefung der US-Immobilien zur Stockung der Geldmärkte:
Die Vorgeschichte der Finanzkrise

2.1. Wohnen in den USA: Prisoner of the American Dream
2.2. Finanzsystem und Eigentum: Aufklärung durch Doppelte Buchführung
Exkurs: Die Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung
2.3. Wertpapierhandel und fiktives Kapital: 1. Verbriefung
Exkurs: Von der bürgerlichen Revolution zur „national debt“
2.4. Wertpapierhandel und fiktives Kapital: 2. Aktien
2.5. Marktzentrierte Finanzsysteme und der Ausbruch der Finanzkrise
Exkurs: Diktatur der Banken oder des Marktes?
[Grafiken zum Kapitel 2]

3. Modernes Kreditgeld und das Problem der Liquidität
3.1. Wie funktioniert „Bezahlen“ heute?
Exkurs: Die sogenannten Geldmengen
3.2. Das gesetzliche Zahlungsmittel: Staatliche Aufgabe und bürgerliche Kontrolle
3.3. Mehr als Collateral Damage
3.4. Die US-Präsidentschaftswahlen und der Bailout
[Grafiken zum Kapitel 3]

Literaturverzeichnis


Archiv

1. Wenn Du Dich selbst nicht kennst…Linke Wirtschaftspolitik – Theorie oder Praxis? Ein Diskussionsbeitrag, junge Welt, 16.12.2002

2. Zur Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft. Rezension zu: Georg Quaas, Arbeitsquantentheorie. Mathematische Grundlagen der Werttheorie. Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/M. u.a. 2001, Neues Deutschland,

3. Gute Gründe, schlechte Gründe – Kommentare zum Ende der Arbeiterbewegung. Rezension zu: Peter Decker/ Konrad Hecker: Das Proletariat. Aufstieg und Niedergang der lohnabhängigen Klasse. München 2002, Neues Deutschland, 17. Januar 2003

Die Reaktion der Autoren auf diese und andere Rezensionen: der Gegenstandpunkt.

4. Auf der Suche nach der historischen Tendenz. Mangelnde Vergesellschaftung wissenschaftlicher Produktionsmittel und Marx‘ Vorarbeiten zum Dritten Band des Kapital. Anmerkungen zum MEGA Band II/14, junge Welt, 13. 06.2005

5. Marx statt Keynes. Für eine Kritik der effektiven Nachfrage, SoZ, April 2007

6. Vollbeschäftigung für wen? Die Sachwalter des Kapitals haben von Keynes gelernt, lunapark21, Heft 2, Frühjahr 2008

7. Ein kleines Glossar zum vorstehenden Text

8. Vom Anschluß der DDR zur Stärke des Euro. Ein Überblick über die Kräfteverhältnisse in der EU und zwischen EU und USA kurz vor Beginn der zweiten Phase der Krise, Ende August 2008

9. Knapp zwei Jahre später war im Mai 2010 diese Analyse nur etwas zu aktualisieren – die Wiederholungen bitte ich zu entschuldigen – und nochmals zuzuspitzen:
Vom Anschluß der DDR zum deutschen Euro – oder: Hartz IV war die Vollendung der deutschen Einheit.

10. Und wo bleibt das Positive? Es ist das Schwierige, das schwer zu machen ist:
Dokad od kapitalizmu? – wohin vom Kapitalismus aus?